Call Me by Your Name

Brasilien | Frankreich | Italien | USA, 2017

Originaltitel:

Call Me by Your Name

Alternativtitel:

Me Chame pelo Seu Nome (BRA)

Chiamami col tuo nome (ITA)

Llámame por tu nombre (MEX)

Deutsche Erstaufführung:

01. März 2018

Regisseur:

Luca Guadagnino

Drehbuch:

James Ivory

Inhalt

Norditalien in den 1980ern. Hier verbringt der Archäologie-Professor Dr. Perlman die Sommer mit seiner Familie in einer alten Villa aus dem 17. Jahrhundert. Sein altkluger Sohn, der 17jährige Elio, verliebt sich in den Hausgast seiner Eltern: ein sechswöchiges Erleben und Entdecken einer ganz neuen Lebenserfahrung.

Review

»We had found the stars, you and I. And this is given once only.«
(André Aciman, »Call Me by Your Name«)

 

Alles an diesem Film ist sinnlich, alles schön. Der Sommer in Norditalien wird einem so lebendig nahegebracht, dass man glaubt, ihn selbst zu erleben. Das liegt vor allem an dem intelligenten Sound-Design. Guadagnio, der zuletzt die Remakes von „Suspiria“ (Dario Argento) und „Der Swimmingpool“ (Jacques Deray) inszenierte, verzichtet a) auf eine herkömmliche Filmmusik und ließ b) die Geräusche der Umgebung (vorbeifahrende Autos, summende Insekten, Sommerwind in den Baumkronen) so klar abmischen, dass sie immer um einen herum sind. In einer Dinner-Szene fährt draußen vor dem Grundstück ein Auto vorbei, und die Schauspieler müssen ihre Stimmen heben, um sich weiter zu unterhalten. Es ist, als säße man mit am Tisch. Unterstrichen wird dieser Eindruck durch die Fliegen, die wieder und wieder wie eine Art Leitmotiv durchs Bild schwirren (Guadagnio ließ diese digital einfügen).

 

Die Drehorte in der Lombardei, Bergamo und Crema, wirken eigentümlich vertraut. In der »Vanity Fair« stand, »Call Me by Your Name« habe die »verblasste Lebendigkeit einer alten Postkarte, in der es eine Sanftmut und Stille gibt, die all die intensiven Gefühlswallungen zwischen Elio und Oliver abmildern«. Gewiss, die Prämisse des Films ist simpel, die Umsetzung jedoch alles andere als trivial. »Call Me by Your Name« ist vorzüglich im Aufbau. James Ivory, der im Juni sage und schreibe 90 Jahre alt wird, hat Acimans Roman so gekonnt für die Leinwand adaptiert, dass dessen ureigene Poesie erhalten blieb. Am 4. März 2018 nahm er verdientermaßen den Oscar für sein brillant adaptiertes Drehbuch entgegen.

 

Guadagnino lässt sich Zeit, er ist mutig und klug genug, seinen Figuren (und den Schauspielern) den Raum zu geben, den sie zur Entfaltung benötigen. So schafft es der in anderen Filmen immer so steif und aalglatt-poliert wirkende Armie Hammer, seinem Oliver hinter der selbstbewussten Fassade eine Unsicherheit und Tiefe zu geben, die nicht auf Papier festgehalten werden kann. Und Timothée Chalamet als Elio hält uns eh von der ersten Einstellung an gefangen. Wir sehen, hören, schmecken und (er)leben durch ihn, fühlen nach und mit, was diese erste wilde Verliebtheit mit und in ihm anrichtet.

 

Da ist der Fluss, Sonnenstrahlen, die auf der Wasseroberfläche tanzen. Es gibt Aprikosen und Pfirsiche. Die Villa, in der Elios polyglotte Akademiker-Familie ihre Sommer verbringt, ist stets gut besucht. Es gibt Personal und ständig Gäste zum Dinner. Der Vater (gespielt von Michael Stuhlbarg) ist ein großzügiger Schöngeist, der jedes Jahr im Sommer für sechs Wochen einen Gast, meist einen ebenfalls kreativen Geist oder Intellektuellen, aufnimmt und ihm (oder ihr) die Möglichkeit gibt, in Ruhe sein (oder ihr) aktuelles Manuskript zu überarbeiten. In diesem Sommer, 1983, ist es Oliver, ein US-Amerikaner von der Ostküste, 24 Jahre alt und jüdischen Glaubens. Elio ist 17 und … tja, einfach überwältigt. Elio ist dreisprachig aufgewachsen (Englisch, Italienisch, Französisch), hoch gebildet und musisch begabt. Er transkribiert Musik, liest viel, geht schwimmen, flirtet mit einem jungen Mädchen aus Paris (Esther Garrel).

 

»Call Me by Your Name« vermeidet Klischees. Die Charaktere sind zu sophisticated, um sich mit Plattheiten zufrieden zu geben. Elios Mutter (Amira Casar) liebt deutsche Literatur und Philosophie, der Vater ist Archäologe und interessiert sich für Etymologie. Der Film besitzt eine leise Weisheit, die nie aufdringlich ist, aber immer mitschwingt. Der Monolog des Vaters kurz vor Filmschluss ist vielleicht eine der schönsten Passagen, die je für einen Film geschrieben wurden. Und dann das Gesicht Timothée Chalamets, als dieser zu den Klängen von Sufjan Stevens’ »Visions of Gideon« an Chanukka vorm Kamin weint. Oh, dieses stürmische erste Verliebtsein, die Ungewissheit, die Verlorenheit, die Verzweiflung, diese ganze Wucht von Sehnsucht und Hormonen und Projektion! Diese Angst vor dem Unvermeidlichen, dem Abschied, dem Ende, dem Schmerz!

 

Der Streifen war noch für drei weitere Oscars nominiert: Bester Film, Bester Hauptdarsteller (Chalamet) und Bester Original-Song (»Mystery of Love« von Sufjan Stevens). Ein Sequel befindet sich bereits in Vorbereitung; »Call Me by Your Name« behandelt nämlich nur ca. die Hälfte von André Acimans Roman. Dieser ist ein Meisterwerk an und für sich: Jeder Satz ist eine Woge aus Wohlklang und Klugheit. Man wird zurückgeworfen in die eigene Jugend, denkt zurück an vergangene Sommer und die erste Liebe, erwidert oder unerwidert, an das grenzenlose Glück und die uferlose Traurigkeit. Die Sprache, die André Aciman verwendet, ist so rein und klar und schön, dass man viele Sätze laut lesen, sie unterstreichen, einrahmen, aufhängen möchte. Die an sich einfache Geschichte setzt er so dicht um, dass man sich als Leser in einem fein gewobenen Netz aus Schönheit und Schmerz gefangen sieht. Unmöglich, das Buch aus der Hand zu legen. Der grundlegendste Unterschied zum Film ist, dass sich Elio und Oliver viele Jahre später wiedersehen und ihrer Verliebtheit von einst nachspüren. — Acimans Vokabular ist erlesen und wird der Gefühlskomplexität Elios mehr als gerecht. Für uns als Leser ist das nicht immer leicht, denn wir ahnen, was für eine tiefe Traurigkeit Eilo und uns erwartet. Teilweise sind die Sätze verschnörkelt und lang, dann wieder kurz, direkt, prägnant. Der Grundton ist melancholisch. Eine Rezensentin schrieb von einem »Sehnen, das nie zu Ende geht. Das ganze Leben lang. Letztlich geht es hier um die Wirkung der Zeit auf die Menschen und ihre Gefühle und darum, dass ein Paradies nur in der Erinnerung aufrecht erhalten werden kann.«

 

Normalerweise würde ich es nicht explizit erwähnen, aber André Aciman ist heterosexuell. Dass er homosexuelles Begehren und Lieben derart unverkrampft und intensiv-erotisch in Worte gegossen hat, finde ich bemerkenswert. Denn es scheint nicht nur, als ob er Ich-Erzähler Elio dies alles erfühlt und erlebt, sondern er bringt auch uns dazu, diese Liebesgeschichte mitzuerLEBEN. Das ist eine sehr seltene Gabe, und vermutlich ist das der Grund, wieso »Call Me by Your Name« eines der schönsten Bücher meines Lebens ist. Es geht (auch) um die Liebe als universelle Kraft. Einer der schönsten Sätze lautet: »From this moment on, I thought, from this moment on — I had, as I’d never before in my life, the distinct feeling of arriving somewhere very dear, of wanting it forever, of being me, me, me, me and no one else, just me, of finding in each shiver that ran down my arms something totally alien and yet by no means unfamiliar, as if all this had been part of me all my life and I’d misplaced it and he helped me find it.«

 

Sexualität ist in der Literatur (und auch im Film) eine schwierige Angelegenheit. Mal zu derb, mal zu blumig, mal zu klinisch-steril. Aciman findet sprachlich einen philosophisch-erotischen Zugang: »I believe with every cell in my body that every cell in yours must not, must never, die, and if it does have to die, let it die inside my body.«

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