Alles tanzt nach meiner Pfeife

Frankreich, 1970

Originaltitel:

L'homme orchestre

Alternativtitel:

El hombre orquesta (ESP)

Beato tra le donne (ITA)

O Homem Orquestra (POR)

The Band

The Orchestra Man

Deutsche Erstaufführung:

20. November 1970

Regisseur:

Serge Korber

Kamera:

Jean Rabier

Inhalt

Onkel Balduin (im Original Monsieur Édouard genannt, aber eigentlich Evan-Evans) ist Leiter einer Tanztruppe mit internationalem Renommee. Sein Motto heißt: Tanzen ist gut, Männer sind schlecht. Was bedeutet, dass seine Mädchen niemals auch nur in die Nähe eines Mannes kommen dürfen. Da aber junge Mädchen und junge Männer sich standardmäßig eher anziehen als abstoßen, setzt Balduin alles daran es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, und zwar mit allen, aber wirklich absolut allen Mitteln. Eines seiner Mädchen hat allerdings ein uneheliches Kind in Rom verschwiegen, und während einer Tournee wird sie informiert, dass die Ziehmutter das Kind zurückgeben muss. Was tun? Man könnte es ja Onkel Balduin unterschieben …

Autor

Maulwurf

Review

Ich beziehe mich jetzt mal auf die in Deutschland erhältliche, stark geschnittene Fassung (zu den Versionen unten mehr): Das ist der gehobene Wahnsinn!! Wer den ultimativen 70er-Jahre-Flash sucht, hier kann er ihn finden. Junge Mädchen in bunten Kostümen, die Piti-Piti-Pat singend tanzen, dazu Louis de Funès im gelben Trainingsanzug, der sogar eine Gesangsnummer gemeinsam mit seinem Sohn Olivier hat, und Musik die in Uschi Nerkes Beat-Club ziemlich hotten würde. Mir ist oft die Kinnlade runtergeklappt, so fassungslos war ich. Vor allem die ersten 20 Minuten haben eine unglaubliche Dynamik und treiben unfassbar nach vorne. Warum läuft PFEIFE bloß als schwächerer de Funès-Film?

 

Da gibt es beispielsweise eine Szene auf einer Luxusyacht, auf der Balduins Primadonna Françoise ein Stelldichein hat mit Franco Fabrizi. Balduin und Sohn Philippe wollen heimlich wissen was da läuft und entern das Schiff. Philippe läuft einer dunkelhaarigen Mannstollen in die Arme, die Françoise sogleich mit Gesten und Grimassen durchs Fenster versucht zu bedeuten was sie da Schnuckeliges gefangen hat, während Philippe versucht unterhalb des Fensters zu bleiben um nicht gesehen zu werden. Auf der anderen Seite der Yacht hängt derweil Balduin an einem Tau und pendelt unentwegt von links nach rechts, immer am Fenster Françoises vorbei. Und dazu läuft ein ausgesprochen abgespacter Song von vermutlich Screaming Jay Hawkings, in dem er beweist warum das Wort Screaming in seinem Künstlernamen auftaucht. Gegen diesen Irrsinn wirken Filme von Renato Polselli geradezu spießig!

 

Dazu die deutsche Synchro. Gert Martienzen, den ich zugegeben sehr verehre, weist hier Rainer Brandt locker in seine Schranken, aber ganz locker. “Komm schon, aber hurtig! Hurtig!“ “Ich hurte ja schon.“ Wundervoll die Szene, in der das kleine Kind eben noch weg war, jetzt ist es aber wieder da. “Eben war das Kind fort, und ich war da. Wenn das Kind jetzt aber da ist, dann bin ich jetzt ja fort.“ Jawoll!

 

Und mittendrin immer diese Tanzszenen. Beim Vorbereiten dieses Textes fällt mir auf, dass viele Screenshots aus Tanzszenen stammen, und das hat auch seinen Grund. Ähnlich einem Musical wird auch mal mitten in der Szene getanzt oder gesungen, was dem Gefühl des Piti-Piti-Pat-Irrsinns zusätzlichen Aufschub gibt. Und bunt ist der Streifen, wahnsinnig bunt. Ich glaube ich habe sehr lange keinen Film mehr gesehen der so viele Farben auf so kleinem Raum zusammenbringt. 70er-Jahre halt, und vielleicht kommt das alles auch deswegen mittlerweile so schlecht weg – Filme, in denen unmotiviert getanzt und gesungen wird, oder uniform gekleidete Mädchen kichernd durch Flure rennen um kleine Kinder zu bestaunen, solche Filme sind heute nicht mehr angesagt. Heute muss es rumsen und knallen, da sind Sachen, die wirken wie zu viele Drogen falsch zusammengemischt, eher altmodisch und werden als Quatsch abgetan. In den Zeiten monochromer Bild- und Stimmungsbildung sind solche Farbenrausche wie hier halt nicht mehr in. Fans des älteren Kinos allerdings können hier hineintauchen wie ein Maulwurf …

 

Ein gewisser Hang zu den (frühen) 70er-Jahren sollte also schon vorhanden sein. Insofern unterscheidet sich PFEIFE auch von anderen de Funès’schen Klassikern wie OSCAR oder HASCH MICH, ICH BIN DER MÖRDER – Hier ist es nicht nur de Funès der für den Wirbel sorgt, sondern auch der Regisseur (und der deutsche Schnitt …). Einfach alle Vorgänge rund um Onkel Balduin und das kleine Kind haben mehr als nur einen Hauch von Wahnwitz: Philippe kommt in das Zimmer seiner vermeintlichen Verehrerin Françoise und singt ihr ein Chanson. In der französischen Fassung verlässt man dann auch recht flott den Boden der Realität: Es tauchen viele Tänzerinnen auf, und man tanzt gemeinsam durch Raum und Zeit. Eine typische Musicalszene eben, die man auch aus US-amerikanischen Musicals kennen könnte. Bis zum Ende des Liedes, und wenn das Licht wieder angeht – stehen alle diese Tänzerinnen in Françoises Raum … Mit der Karikatur und Demontage des Spießbürgers, die in anderen de Funès-Filmen so oft das Thema ist, hat das halt nichts mehr zu tun. Stattdessen wird eher das Terrain von H.C. Potters IN DER HÖLLE IST DER TEUFEL LOS von 1941 betreten: Ein schräges Feuerwerk abgedrehter Ideen, mit mäßiger Handlung und einem starken Hang zur zwerchfellerschütternden Absurdität.

Autor

Maulwurf

Veröffentlichungen

Einen Hang zum Absurden hatte auch der deutsche Kinovertrieb, der sich anscheinend eher in Richtung eigenes “Kunstwerk“ orientierte. Fakt ist, dass die deutsche Verleihfassung sich von der französischen Originalfassung grundsätzlich unterscheidet. Das beginnt schon mal damit, dass in Deutschland der Film 75 Minuten lief, in Frankreich aber 82 Minuten. Das man de Funès-Filme überhaupt schneidet ist eh ein Unding, aber mit der Erfindung des Heimkinos war dem Gemetzel dann gänzlich Tür und Tor geöffnet. Los geht es damit, dass in Frankreich eine neu geschnittene Fassung auf DVD erschien, und zwar mit einem Neuschnitt von ursprünglich im Kino enthaltenen Szenen. In Deutschland wiederum gab es eine VHS-Version, die auf der ursprünglichen deutschen Kinofassung basiert. Die DVD-Veröffentlichung allerdings nahm aus dieser Version Teile raus und fügte andere, ursprünglich fehlende Teile, ein. Alles klar?


Als Beispiel kann die Geschichte vom bösen Wolf dienen. Hier erzählt de Funès die gesamte Geschichte nur mittels Mimik, Gestik und Geräuschen, und zwar knapp über 2 Minuten lang. Schnitte sind nur sehr wenige vorhanden. Die deutsche VHS (die mir nicht vorliegt, ich beziehe mich auf den unten stehenden Link zu Schnittberichte.com) scheint ein rechtes Schnittgewitter zu sein, muss also wohl sehr hektisch wirken, enthält allerdings Grimassen, die in der französischen Version nicht zu sehen sind. Die deutsche DVD, die als Grundlage dieser Besprechung diente, dampft das ganze dann auf ein paar Sekunden ein …

Autor

Maulwurf

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