Ein kleines Resümee zur 3-tägigen Filmsause vom 01.-03. April 2016 in Nürnberg

 

Zum dritten Mal wurde nach Nürnberg gerufen zum Festival des italienischen Genrefilms, und zum dritten Mal kamen die Massen um eigenartige, vergnügliche und spannende Perlen des italienischen Films zu entdecken. 

Wie immer war das Programm auch dieses Jahr eine gelungene Mischung aus Bekanntem und Vergessenem, aus altbekannten Klassikern und obskuren Merkwürdigkeiten. In den letzten Jahren war die Mischung jedes Mal erstklassig, und auch dieses Mal las man die Ankündigungsliste der Filme mit wachsender Erregung. Argentos VIER FLIEGEN AUF GRAUEM SAMT auf der großen Leinwand? Als Eröffnungsfilm? Und ein merkwürdig klingender KILLER VON MANHATTAN als Abschluss? Wow …

Los ging es bei schlotternden Außentemperaturen allerdings erstmal mit einer Hiobsbotschaft, nämlich dass die VIER FLIEGEN aufgrund des Essigsyndroms leider nicht mehr spielbar sind, und stattdessen die 2D-Version von Argentos DRACULA gezeigt werden würde … Ein Aprilscherz, aber der Schock hat gesessen! Kompliment an Christoph Draxtra, danach waren alle wach!

 

Mehr Schocks (im filmischen Sinne) gab es dann im Film, der in 35mm und auf der großen Leinwand geradezu eine Neuentdeckung war. Entsprechend war das Publikum gebannt, und mehr als einmal konnte man im Saal geradezu eine Stecknadel fallen hören. Die Geschichte um den Schlagzeuger Roberto, der aus Versehen einen Mann tötet und danach von einem geheimnisvollen Erpresser bedrängt wird, diese Geschichte ist nach all den Jahren immer noch packend und stark umgesetzt. Nun ja, einer von den großen Argentos halt …

 

Anschließend hatten die Veranstalter eine längere Pause für ein Abendessen vorgesehen und in zwei Restaurants in der Nähe Plätze für fast alle bestellt. Ein Rundum-Sorglos-Paket, bei dem man sich als Zuschauer richtig wohlfühlen konnte, zurücklehnen und genießen durfte.

 

Nach der Pause ging es mit einer Peplum-Trailershow und Michele Lupos SIEBEN GEGEN ALLE weiter, einem Sandalenfilm aus der Spätphase des Genres. Entsprechend Lupos großem komödiantischem Talent war der Film auch alles andere als bierernst, und die Stimmung im Publikum erinnerte fast an Fasching. Die Handlung ist peplumtypisch eher uninteressant, im Gegensatz zum Zwerg Goliath und seinen Augenbrauen. Christoph Draxtra ist der Ansicht, dass Filme mit Zwergen gute Filme sind. Ich befürchte, er hat Recht …

 

Der Irrsinn der antiken Muskelmänner ließ sich aber noch steigern mit dem darauf folgenden ATLANTIS INFERNO von Ruggero Deodato, einem Trash-Galopp durch die Genres des späten italienischen Films. Nein, richtiger: DER Trash-Galopp durch ALLE Genres! Kai Krick bereitete mit einer gelungenen und launigen Einleitung auf diesen wilden Mix aus Agenten, Endzeit, Biker, SciFi und Unaussprechlichem vor. Im Film konnte man dann richtig männliche Männer, quietschende Mädels die beschützt werden müssen sowie einen Schwarzen namens Washington („Ich heiße MOHAMMED!“) bestaunen, und die überbordende Stimmung im Publikum sorgte für den ersten Höhepunkt des Festivals. Worum es hier geht? Ääh, in etwa um das Wiederauftauchen von Atlantis in Form von karnevalistisch eingefärbten Endzeitrockern, und den heldenhaften Kampf einer kleinen Gruppe von MÄNNERN (in Großbuchstaben) und einer Frau gegen die atlantidischen Unruhestifter. Ein Party-Film allererster Sahne!

 

Der zweite Tag brachte dann nach viel zu wenig Schlaf schon ausgesprochen frühlingshafte Temperaturen, die es nicht leicht machten sich den Tag mit vielen anderen Menschen zusammen in einen dunklen Raum zu pferchen. Ein schöner Biergarten wäre auch in Ordnung gewesen! Angenehmerweise konnte der Opener des Samstags mit MALIZIA von Salvatore Samperi solche Gedanken schnell vertreiben. Eine leise und stilvolle Coming-of-Age-Komödie mit unglaublich schönen Settings und starken Schauspielern, die eine ausgesprochen zauberische Atmosphäre auf die Leinwand brachte. Im Wesentlichen ging um die erwachende Zuneigung eines Jungen aus gutem Hause, der sich in das attraktive Hausmädchen verliebt und versucht mit einer typischen Backfisch-Mischung aus Herrentum und Scham zu seinem ersten Geschlechtsverkehr zu kommen. Einen Nebenbuhler hat er allerdings auch – Seinen Vater … Leider sahen Teile des Publikums die ruhige und angenehme Stimmung anders und bejubelten den zarten Humor als ob es um einen Schenkelklopfer Bombolo’scher Provenienz ging, was der Aufführung einiges von ihrer Atmosphäre nahm. MALIZIA ist aber auf jeden Fall ein ganz großer Geheimtipp für zu Hause, zum Genießen in stillen und einsamen Stunden!

 

Anschließend ging es in die vollen mit Vittorio Salernos FANGO BOLLENTE, einer Studie über junge Männer denen - langweilig ist. Die informative und hochgradig unterhaltsame Einleitung von Pelle Felsch (Pelle: Beim nächsten Mal singst Du das Lied aber, OK?) konnte das Publikum hervorragend auf die nachfolgenden 90 Minuten einstimmen, in denen es in erster Linie um Sex und Gewalt ging, um das Totschlagen von Zeit und LKW-Fahrern, und um das Penetrieren von reichen Damen mit Hilfe eines Gabelstaplers. Das mag jetzt auf den ersten Blick sehr asozial und sleazig klingen, tatsächlich aber ist FANGO BOLLENTE ein Höhepunkt der Gattung Terrorfilm, der auf sehr geschickte Art und Weise eine genauso einfache wie auch schreckliche Geschichte aus der Gegenwart (des Jahres 1975) erzählt, nämlich um drei Männer, die mit ihrem Dasein so rein gar nichts anfangen können und gerne wissen möchten wie sich Leben anfühlt. Und zwar in Form von Schmerz und Gewalt, was dann natürlich bevorzugt anderen zugefügt wird. Joe Dallessandro als gelangweilter Informatiker und Enrico Maria Salerno als Kommissar mit Menschenkenntnis sind hier (wie immer) erstklassig und konnten dem grundlegend recht räudigen Streifen einen soliden ethisch-intellektuellen Unterbau geben. Für mich persönlich war FANGO BOLLENTE mit seiner fast durchgehend misanthropischen und düsteren Grundstimmung einer der Höhepunkte des gesamten Festivals. Interessanterweise war der Film keine Deutschlandpremiere, wurde die gezeigte Kopie(!) doch tatsächlich bereits in den 70ern italienischen Gastarbeitern in Deutschland gezeigt. Ob die nach dem Genuss des Films wirklich wieder zurück nach Turin wollten?

 

Nach einer angenehm langen Pause hatte Sergio Bergonzellis CRISTIANA DIE BESESSENE es dann erstmal nicht leicht. Zu schwer wog das Abendessen im Magen, zu stickig wurde die Luft im Kino, aber schon die ersten Bilder eines nackten Paares beim Liebesspiel in einem Linienflugzeug brachten das Publikum auf andere Gedanken. Mit knalliger Musik unterlegt wird die Geschichte eines jungen und äußerst … lebenshungrigen … Mädchens erzählt, dass während eines Flugzeugabsturzes Gott um Hilfe bittet im Tausch gegen ein Leben als Nonne. Gott willigt in den Deal ein, und Cristiana ist ja auch durchaus willig. Aber das Fleisch ist schwach, verdammt schwach, und die Verlockungen von Männchen und Weibchen sind gar so süß … Wunderschöne Bilder, gute Musik, klasse Darsteller, und der typische Bergonzelli-Irrsinn, aber irgendwie ist der Film bei mir nicht über ein „Nett“ hinausgekommen, was vielleicht auch an der zunehmenden Müdigkeit gelegen haben mag. Trotzdem hat irgendwie ein wenig der Schmiss gefehlt, das gewisse Etwas, das den Film in die Nähe etwa eines IN THE FOLDS OF THE FLESH gebracht hätte. Leider wird man aber, um sich eine genauere Meinung bilden zu können, keine Möglichkeit haben CRISTIANA ein zweites Mal in seinem Leben so zu sehen, im richtigen Bildformat und mit erstklassigen Farben, da die Kopie schon in keinem allzu guten Zustand mehr war, und mit wundersam auftauchenden anderen Kopien wohl eher nicht zu rechnen ist. Christoph Draxtra erzählte uns in der Einleitung wie er zu dieser Kopie gekommen ist, und in welch mühevoller und langwieriger Kleinstarbeit er sie so weit wie möglich zu restaurieren versuchte. Diese Geschichte hörte sich an wie ein spannender (und hervorragend erzählter) Thriller, aber leider leider war eben auch herauszuhören dass CRISTIANA das Schicksal so vieler Filme erleiden wird: Sie wird vergessen werden ... Forgotten Film Entertainment, übernehmen Sie!

 

Den anschließenden LSD – PARADIES FÜR 5 DOLLAR konnte ich mir dann nicht mehr geben. Zu groß war die Müdigkeit, und der Wunsch am Sonntag alle vier Filme zu sehen ließ den Gedanken an ein kuscheliges Bett übermächtig werden. Mir wurde aber erzählt, dass die Stimmung auf Party-Niveau gewesen und die Aufführung ein voller Erfolg gewesen sein muss, unter anderem auch dank der durchgeknallten deutschen Synchro. Trotz ein paar Nickligkeiten alles in allem also ein gelungener zweiter Festivaltag, der die Vorfreude auf den dritten Tag bereits gewaltig steigen ließ, waren am Sonntag doch mit unter anderem DANZA MACABRA und dem NEW YORK RIPPER zwei richtige Knaller am Start. Und mit DREI PISTOLEN GEGEN CESARE ein Italo-Western der ganz besonderen Art …

 

Und bei geradezu sommerlichen Temperaturen war ebendieser CESARE dann am Sonntag nach einer kleinen und feinen Trailershow ein Opener allererster Kajüte. Die Story ist simpel, es geht um eine Goldsuche und einen Schurken der eine Stadt beherrscht. Aber was aus dieser 08/15-Geschichte nicht alles herausgeholt wird! Einer der Helden hat eine 4-läufige Pistole, die auch aus dem Kolben heraus schießen kann, ein anderer hypnotisiert seine Gegner damit sie gar nicht erst nicht schießen können. Der Schurke nennt sich Julius Cäsar Fuller, wird gespielt von Enrico Maria Salerno, und residiert in der Wüste mit Leibwache, Jacuzzi und natürlich in Bettlaken gewandet. Er lässt sich von einem Professor das Leben Cäsars vorlesen und Femi Benussi tanzt Hula (was in dieser gekürzten Kinoversion leider nicht zu sehen war). Gut und ernsthaft inszenierte Actionszenen wechseln sich ab mit mehreren Gesangsnummern und gehobenem Irrsinn, der so auch von Renato Polselli hätte stammen können, um mal einen Vergleich zu bringen. CESARE ist für mich nach MALIZIA der nächste absolute Höhepunkt des Festivals gewesen, und die Kopie aus dem Archiv des Dirty Pictures-Forums wirkte wie am ersten Tag. Es wurde erzählt, dass der Streifen demnächst auf Deutsch erscheinen soll, was spätestens nach dieser Sichtung mit großer Ungeduld erwartet wird.

 

KAMELIENDAME ’53 von Vittorio Cottafavi hatte es danach erwartungsgemäß sehr sehr schwer. Draußen lockten hohe Temperaturen, und CESARE war ein grandioser Lach- und Actionerfolg, da konnte dieses düstere Melodram nur schwerlich ziehen: Ein Junge aus besserem Hause verliebt sich in eine stadtbekannte Hure, was auch und gerade im Italien der frühen 50er-Jahre nicht wirklich gerne gesehen wurde. Die Geschichte einer Liebe die von Beginn an unter einem schlechten Stern steht ist heutzutage vielleicht auch zu oft erzählt worden, weswegen der Mut des Terza Visione-Teams, diesen Film bei solch einem Event zu zeigen, gar nicht genug zu bewundern ist, und ich nur sagen kann: Klasse gemacht!! Der Film hat alles was einen guten Film ausmacht: Schöne Bilder, eine tiefgehende und gut erzählte Geschichte, erstklassige Musik, … Ein Hauch von Neorealismus blitzte hier und da durch, und vor allem im letzten Drittel wurden grafische Highlights präsentiert, die den Film aus dem Durchschnitt deutlich heraushoben. Vielen Dank an die Veranstalter für diese vergessene Perle des italienischen Kinos!!

 

Eine Perle anderer Art war die Königin der Nacht, die in weiß-goldener Robe und langen schwarzen Haaren höchstpersönlich vorbeikam um unsere Sinne auf Antonio Margheritis gespenstischen LA DANZA MACABRA mit Barbara Steele vorzubereiten. Hui, was für ein schöner Film - Ein Gothic-Grusler wie er im Buche steht. Zwischen Nebel, Spinnweben und alten Gemäuern bewegen sich ein Lebender, mehrere Tote, und mindestens eine Person von der in der anschließenden Diskussion niemand genau sagen konnte ob sie lebt oder tot ist. Ein Journalist wettet, in einem Spukhaus eine Nacht lang zu überleben. Dort angekommen stellt er fest, dass eine äußerst attraktive junge Frau, ihre eifersüchtige Schwester und ein verschollen geglaubter Wissenschaftler im Haus leben. Leben sie wirklich? Aber Tote können doch nicht zurückkommen. Oder etwa doch? In Rückblenden wird eine tiefschwarze und traurige Geschichte erzählt die in einer spannenden und gruseligen Verfolgungsjagd gipfelt. Die Kopie war erstklassig, der Film schien erst gestern aus der Kopieranstalt gekommen zu sein, und auch hier konnte man die Spannung im Publikum oft mit Händen greifen. Margheritis eigenes Remake DRACULA IM SCHLOSS DES SCHRECKENS hat sicher auch seine Vorteile, aber grusliger und atmosphärischer ist auf jeden Fall LA DANZA MACABRA.

 

Quak Die Reihen lichteten sich ein wenig, die Beine konnten ausgestreckt werden Quak Quak, und der NEW YORK RIPPER begann sein blutiges Quak Quak Quak Handwerk Quak Quak Quak Quak Quak. Zu Lucio Fulcis Slasher-Klassiker selbst muss man wohl nicht viel sagen, außer: Was für ein Erlebnis diesen Film auf 35mm zu sehen! Allen Anwesenden war bewusst was für einem seltenen Schauspiel sie beiwohnen durften, und entsprechend gut war die Stimmung. In der Einleitung wurde erzählt, durch welchen Zufall das Kommkino in den Besitz der Kopie kam, eine spannende und unterhaltsame Anekdote aus dem Leben einiger Filmliebhaber. Der Streifen war somit ein außerordentlicher Abschluss eines außerordentlichen Festivals. Ich persönlich empfand den dritten Tag als den besten und schönsten Tag, weil alle vier Filme etwas Besonderes waren und die Stimmung ausgesprochen relaxt war. Mit ein wenig mehr Schlaf hätte es so wie an diesem Tag gerne noch länger weitergehen können.

 

So, was habe ich noch nicht erwähnt? Die Einführungen von Christoph Draxtra, Pelle Felsch, Kai Krick, Udo Rotenberg, Christoph Huber, Bennet Togler und Sano Cestnik waren durch die Bank unterhaltsam, informativ, spannend, lustig, lehrreich, und immer erstklassig! Die Organisation der Veranstaltung wiederum ist mit dem Wort „erstklassig“ schon nicht mehr zu beschreiben, da fehlen irgendwie die Superlative. Christoph Draxtra hat in mehreren Einführungen angedeutet, wie viel Arbeit in diesem Festival steckt, bis hin zu „Gestern Nacht haben wir noch die Untertitel an den Film angelegt den ihr jetzt gleich sehen werdet“. Den Organisatoren und dem gesamten Team von Kommkino möchte ich an dieser Stelle ein riesiges Danke Schön aussprechen – Praktisch alle, mit denen ich gesprochen habe, waren zufrieden, waren glücklich, haben sich rundum wohl gefühlt und freuen sich auf das nächste Mal.

 

Ich bin jetzt mal so frech und zitiere die wunderbare Mauritia Mayer aus ihrem Schattenlichter-Blog, und zwar ihre Zeilen zum Ende des zweiten Terza Visione aus dem Vorjahr:

"Was? Ist es wirklich schon vorbei? Wir können es fast nicht fassen. Der Abschied vom Kino, von der Festival-Stimmung und von den lieben Menschen, mit denen wir die Pausen verbracht haben, fällt schwer."

Besser kann man es nicht ausdrücken!

 

Maulwurf