Das Grauen kam aus dem Nebel

Deutschland | Italien, 1970

Originaltitel:

La morte risale a ieri sera

Alternativtitel:

Os Assassinos Só Matam aos Sábados (BRA)

Asesinada ayer (ESP)

La mort remonte à hier soir (FRA)

Aconteceu a noite passada (POR)

Death Occurred Last Night (Int.)

Death Took Place Last Night (Int.)

Deutsche Erstaufführung:

16. Juli 1971

Regisseur:

Duccio Tessari

Inhalt

Nach dem Tod seiner Frau lebt Amanzio Berzaghi (Raf Vallone) alleine mit seiner Tochter Donatella (Gill Bray), die bereits 25 Jahre alt ist. Der Alltag der beiden ist nicht immer leicht, da Berzaghis Tochter oligophren ist, und dementsprechend viel Zeit in Anspruch nimmt. Als er eines Tages von der Arbeit nach Hause kommt, ist Donatella spurlos verschwunden und niemand aus der Nachbarschaft will etwas gesehen haben. Verzweifelt wendet sich der Vater an Kommissar Lamberti (Frank Wolff), der sich gemeinsam mit seinem Assistenten Mascaranti (Gabriele Tinti) des rätselhaften Falles annimmt. Nach kürzester Zeit wird allerdings klar, dass man gegen viele Widerstände zu kämpfen hat, und die Angelegenheit bleibt nebulös. Um weiter zu kommen, nimmt sich das Duo den einschlägig bekannten Zuhälter Salvatore (Gigi Rizzi) vor, der sich in kriminellen Kreisen auskennt. Der grausame Verdacht bestätigt sich, dass das Verschwinden von Donatella mit einem Mädchenhändlerring zusammen hängen muss...

Autor

Prisma

Review

Hüllt man um den unsäglichen deutschen Titel so schnell wie möglich den Nebel des Schweigens, bekommt man mit Duccio Tessaris Beitrag eines der ganz großen, zeitgenössischen Filmerlebnisse geboten. Der weitreichende, oder vielmehr genreübergreifende Charakter von "Das Grauen kam aus dem Nebel" lässt sich nur schwer beschreiben, doch es ist, als haben viele Verschmelzungen von Teilbereichen stattgefunden, die allerdings auch autonom voneinander funktionieren. Umso besser, kann man sich daher als Zuschauer sagen, denn man bekommt etliche geschliffene Inhalte geboten, die das Wahrnehmen auf mehreren Ebenen ermöglicht. Die Thematik orientiert sich an scheinbar ganz gewöhnlichen Begebenheiten, doch erstaunlicherweise gibt der Film auch sein volles tragisches Potential preis. Reißerische Tendenzen schließen in diesem Verlauf zahlreiche bewegende Momente nicht aus, Szenen, Sorgen und Emotionen des alltäglichen Lebens lassen das naturgemäß weit entfernte Thema greifbar erscheinen, so dass der Weg nicht nur gleichzeitig das Ziel, sondern auch der Erfolg sein wird. Tessari legt angesichts der ausgiebig vertretenen Film-Konkurrenz großen Wert auf feine Unterschiede in der Strategie seiner Inszenierung. Ein lautes Thema mit Diskretion versehen, Abstoßendes durch Stil und feinfühlige Untertöne entschärfen, die Nervosität niemals in Hysterie umschlagen zu lassen, es ist schon erstaunlich, welch seriöses Gewand der Schock hier tragen darf. Pionierarbeit leisten dabei die sorgsam integrierten Personen unter denen regelrechte Allianzen zu Stande kommen, wobei es paradoxerweise die empfundenermaßen weite Entfernung zueinander sein wird, die wirklich interessant wirkt. Ein Verlauf, in dem derartig dichte Charakterzeichnungen zu Stande kommen, sollten nicht unbedingt als selbstverständlich angesehen werden, und in diesem Zusammenhang sind insbesondere die Leistungen von Frank Wolff, Eva Renzi und Raf Vallone hervorzuheben.

 

Der Aufbau geschieht verblüffenderweise über das große Thema Arbeit, die sich hier wie ein roter Faden durch das Geschehen zieht und bei der mehrere Seiten durchleuchtet werden. Berzaghi war zum Zeitpunkt der Entführung seiner Tochter am arbeiten, die Verbrecher nennen ihre Tätigkeiten sicherlich auch Arbeit, und genau eine solche soll die zurückgebliebene Donatella nun auch bei ihrer solventen und perversen Kundschaft übernehmen. Kommissar Lambertis Betätigung scheint sein Leben zu sein, obwohl er die hässlichen Seiten und die abscheulichen Beteiligten dieses, sich täglich wiederholenden Zustandes kaum noch ertragen kann. Seine Frau bildet in dieser Kategorie einen herben Kontrast, da sie sich entfalten, jeden Moment und jeden Fingergriff rechtfertigen kann und die volle Überzeugung vertritt, dass sie etwas bewirkt. Die Rückschläge und Enttäuschungen kommen bei anderen vor. Das Umfeld Berzaghis ist durch die arbeitende Klasse geprägt, hier werden für die Lösung des Falles möglicherweise noch wichtige Mosaiksteinchen zu finden sein. Sieht man die Privatpersonen an, so wird das tägliche Geschäft mit in den Feierabend getragen. Frank Wolff und Eva Renzi diskutieren lange darüber, anscheinend permanent, da sich diese Auseinandersetzung sogar bis in die nähere Zweisamkeit mit hineinzieht, aber sie reden aneinander vorbei. Er nimmt ihr Wirken nicht besonders ernst, sie verabscheut seinen Umgang mit Mördern, Zuhältern und Nutten, den er zwangsläufig haben muss. Donatellas Vater Arbeit scheint ebenfalls nie aufzuhören. Nach Feierabend geht sie weiter, da er sich um seine Tochter kümmern muss und der sich anbahnende, eigentlich bereits trostlose Gesamteindruck wird schließlich durch eine abscheuliche Tat und ein grausames Verbrechen verschärft. Interessant gestaltet wurden auch die männlich-weiblichen Rollenverteilungen.

 

In diesem Szenario sind es hauptsächlich die Männer, die emotionalere, impulsivere, tragischere und vielleicht greifbarere Züge bekommen, als es bei den Damen den Anschein hat. Sie wirken wesentlich mehr angreifbar, werden aus diesem Grund im Gegenzug aber auch massiver angreifen. Lediglich Eva Renzi bedient beide Seiten ganz großartig und es sieht so aus, als habe sie eine Rolle gefunden, die vollkommen ihren Ansprüchen genügt, und ihrer persönlichen Auffassung einer Frauenrolle entspricht. Im Zusammenspiel mit Frank Wolff entstehen sehr subtile Momente, die den Zuschauer sehr tief blicken lassen können. Er prägt das Szenario ganz bemerkenswert, da es zu öffentlichen und privaten Intervallen kommt. Im Beruf fühlt er sich dem Empfinden nach sicherer, er weiß genau, was zu tun ist, wie sein Klientel anzupacken ist, wo die potentiellen Enttäuschungen liegen könnten. Aus dieser Unberechenbarkeit entsteht für ihn sozusagen die Berechenbarkeit, die er im Privatleben nicht auf dem Silbertablett serviert bekommt. Zu diesem Zweck bekommt man eines der schönsten Gesichter von Eva Renzi offenbart, die rückblickend, und aus persönlichem Empfinden, als die größte verpasste Chance des italienischen Kinos zu benennen ist. Tolle Momente entstehen überdies in der Zusammenarbeit von Kommissar Lamberti und seinem ungehobelt wirkenden, aber gerade heraus agierenden Assistenten Mascaranti. Ein eingespieltes Team, eine Einheit in guten, wie in schlechten Zeiten. Doch meistens überwiegen eben die schlechten Zeiten, da die Stadt ganz offensichtlich einem Sumpf aus Verbrechen, Nötigung, Prostitution und Erpressung gleicht. Weitere interessante Darbietungen sieht man beispielsweise von Gigi Rizzi, Beryl Cunningham und der Deutschen Helga Marlo, die hier unter ihrem Pseudonym Elga Machaty zu sehen ist. Schließlich muss noch Raf Vallone erwähnt werden, welcher der im Grundtenor traurigen Geschichte am meisten Emotion und Temperament geben wird, das nur auf den richtigen Zeitpunkt wartet, auszubrechen.

 

Durch die Darstellung der Filmtochter Gillian Bray, bewegt man sich hin und wieder auf recht dünnem Eis, doch die Regie liefert niemals den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Im Vordergrund steht der besorgte, sich aufopfernde Vater, der durch eine bewegende Performance von Raf Vallone Gestalt annimmt, obwohl er im Mittelteil des Films so gut wie gar nicht zu sehen ist. Er nimmt die Dinge des Lebens so an, wie sie eben sind. Das Funktionieren ist selten leicht, aber im Endeffekt erfüllend. Plötzlich wird ihm der Mittelpunkt seines Leben genommen, so dass das Dasein für ihn eigentlich keinen Sinn mehr hätte, wenn da nicht sein eigenes Verlangen nach Aufklärung, Genugtuung und möglicherweise Rache wäre. So gut wie alle offerierten Psychogramme der Haupt- und Nebendarsteller siedeln sich im überdurchschnittlichen Bereich an, viele gehen sogar einige Schritte weiter und präsentieren beinahe ungeahnte Sphären. Einfach überragend! Die Kombination Schauspielerfilm und packende Story, im Sinne einer in allen Bereichen hochklassigen Produktion, lässt "Das Grauen kam aus dem Nebel" zu einem nicht nur sehenswerten, sondern vor allem auch fordernden Genre-Polygamisten werden, der stilistisch und inszenatorisch einwandfrei ist. Die Bildsprache ist ernüchternd, wenige Lichtblicke werden geschildert, so dass man eigentlich schnell weiß, wohin der eingeschlagene Weg gehen wird. Lediglich das Ziel, sprich das Warten auf ein angemessenes Finale, lässt eine zusätzliche Spannung aufkommen, die trotz fehlender Hysterie und bestehender Lethargie durch und durch wahrzunehmen ist. Im Übrigen handelt es sich um eine der besseren Assoziationsketten des damaligen Kinos. Duccio Tessaris Werk ist als eine, in allen Bereichen funktionierende Allianz zu beschreiben, bei der beispielsweise die musikalische Untermalung mit den wohlklingenden Stücken der italienischen Sängerin Mina, oder die sehr gute Montage zu nennen ist, die verständnisfördernd Rückblenden einleitet. Mit Tessaris Film war es keine Liebe auf den ersten Blick, auch nicht auf den zweiten, so dass es seine Zeit gedauert hat, diesen Beitrag besonders schätzen zu lernen, der einem Intention und Wirkung nicht lieblos vor die Füße wirft.

Autor

Prisma

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