Das Grauen kommt nachts

Italien, 1972

Originaltitel:

Delirio caldo

Alternativtitel:

Death at the Villa (USA)

Delirium (USA)

Regisseur:

Renato Polselli

Kamera:

Ugo Brunelli

Drehbuch:

Renato Polselli

Inhalt

Doktor Herbert Lyutak ist ein geschätzter sowie gefragter Psychiater, welcher der Polizei (bei Mordfällen) mit Rat und Tat zur Seite steht. Was niemand weiß, Herbert leidet unter Potenzproblemen. Er arbeitet allerdings emsig an seiner „Genesung“ und prüft seine Fortschritte mit dem Versuch ein junges Mädchen zu vergewaltigen. Doch der Schuss geht nicht nur nach hinten, sondern gar nicht los, sodass der frustrierte Seelenklempner das Mädchen ermordet. Da Herbert fortan von Halluzinationen und Depressionen geplagt wird, gesteht er seiner Frau, Marcia („Marcia! Warum?“), den Mord. In der Folgezeit kommt es jedoch zu weiteren Gräueltaten im Umfeld des Ehepaars. Doch diesmal kann Herbert nicht der Mörder sein. Was ist hier eigentlich los?

 

Diese Frage wird sich während der Filmsichtung, sowie weit drüber hinaus, übrigens nahezu jeder Zuschauer stellen… und das nicht nur einmal!

Review

"Ich will versuchen, ob die Chance einer Heilung für dieses Individuum besteht. Mit einer Untersuchung biochemischer-chromosomatischer Art und Weise. Ich weiß selbst noch nicht genau." (Doktor Herbert Lyutak)

 

Zitate dieser Art manövrieren den Rezipienten in einen individuellen Kosmos des Schwachsinns. Doch sollte man, ohne die Begeisterung für dieses außerordentlich bizarre Sprachkonstrukt zu schmälern, „Das Grauen kommt nachts“ nicht zu sehr an seiner deutschen Bearbeitung festmachen. Denn wer vor der Sichtung einfach mal die italienische Tonspur aktiviert, dem wird die Möglichkeit offeriert, den Film neu zu entdecken.

 

Während dieser Expedition zeigt sich der von der Imagination gesteuerte Wahn im Vergleich zur „realen“ Manie als ein gleichberechtigter Indikator. Auf diese Weise wird der ohnehin stark groteske Eindruck, den der Film hinterlässt, deutlich manifestiert. Dabei schwingt der Rezipient zwischen Trance, Drogenrausch und Wahnsinn. Anhand dieser Marschroute gelingt es dem Streifen natürlich zahlreiche Fragen zu reflektieren, deren Antworten allerdings einzig in Polsellis privater Datenbank des kreativen Irrsinns auffindbar sind.

 

Einhergehend legen die Protagonisten ein extrem befremdliches Verhalten an den Tag. Eine Szene, in der sich die die Darsteller/innen ohne ersichtlichen Grund auf dem Boden wälzen, rückt diesbezüglich besonders eindringlich in den Fokus. Das bizarre, von psychedelischer Rockmusik untermalte, Treiben könnte durchaus einem „Haunted House-Film“ entnommen sein und spiegelt nun wahrlich nicht die Atmosphäre eines Giallos wieder. Diese umrissene Szene ist natürlich kein Einzelfall, denn die Filmcharaktere hinterlassen in vielen Momenten einen Eindruck, als hätten sie zuviel weißes Pulver durch ihre Nasenflügel gejagt. Man beachte Mickey Hargitays grandiose „Spiegel-Szene“ und …. und … und …

 

Polsellis Film ist halt eine Belastungsprobe, die dem Rezipienten eine Eignung oder Nichteignung für dessen (Polsellis) Kabinett des Absurden attestiert. Das Skurrile, das Närrische, das fast Undefinierbare, welches „Das Grauen kommt nachts“ ausdrückt, sind die Soldaten einer Armee des Irrsinns, welche den Zuschauer immer tiefer in (s)einen Rausch hineinziehen. Wer allerdings nach der Sichtung meint, dass die Abgedrehtheit, die der Film transportiert, nicht getoppt werden kann, der hatte mit Sicherheit noch nicht die Möglichkeit, sich mit  Polsellis „Das Lusthaus teuflischer Begierden“ und „Mania“ auseinander zu setzten, die genannten Filme packen nämlich noch eine deutliche Portion Irrsinn drauf.

 

Die (bereits angesprochene) deutsche Synchronisation ist das „Speziellste“, was mir je zu Ohren kam. Wir lernen den Kartoffel und die Hyäne kennen, und instinktive Verdachtsmomente verraten uns wo wild getanzt wird. Es ist teilweise unfassbar, was man den Protagonisten an Leckerlis in den Mund gelegt hat. Dieses exzentrische Dialogbuch wird (in den Internetquellen) Heinz G. Schier zugeschrieben. Hinter dem Namen versteckt sich Heinz Gerhard Schier respektive Harry Reisch. Dieser hatte Mitte der 1960er quasi im Alleingang und per Eigenverleih Filme wie „Liebe per Inserat“ und „Des Teufels nackte Tochter“ in die Kinos gebracht.

 

Die Dialoge, mit denen „Heinz Gerhard Harry Schier Reisch“ seine Zuhörer „bereichert“, animieren gleichermaßen zum Lachflash wie zum Kopfschütteln (damit meine ich kein Headbangen!). Dieses auditive Vergnügen raubt dem Film allerdings große Teile seiner eigentlichen Message, sodass dieser zu einem „Stadl der Kuriositäten“ mutiert, dessen Aussage man nicht für voll nehmen kann und darf. So wird beispielsweise während den zahlreichen Telefongesprächen (hier telefoniert ständig jemand) immer die Frage „Bitte?“ in den Hörer gebrüllt. Ferner spricht der Kartoffel von und mit einer Fliege, die noch lebt.

 

Da allerdings nicht allein die seltsame deutsche Synchronisation für Verwunderung sorgt, sollten Logikfans und Koryphäen-Entlarver den Film (auch bei Auswahl des italienischen O-tons) lieber nicht sichten, denn „Das Grauen kommt nachts“ wird auch auf Klugscheißer keine Rücksicht nehmen, sodass der erbarmungslose Fährmann des Todes seine Sense in der Tunke des gegenüberliegenden Hauses liebkost und anschließend freudestrahlend die Hyäne im Spiegel vereist…

 

BITTE?
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BITTE????
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Veröffentlichungen

DAS GRAUEN KOMMT NACHTS erhielt 2014 (s)eine deutsche DVD Auswertung von FilmArt. Diese Edition enthält vier Versionen des Films. Die italienische Originalfassung, die französische Hardcore-Fassung, die deutsche Kurzfassung sowie die deutsche Version inklusive der Vietnamszenen. Näheres zu den unterschiedlichen Schnittfassungen wird in dem auf der DVD enthaltenen und teilweise köstlichen Audiokommentar von Felsch und Kessler vermittelt, wo sich die Kommentatoren dem Film entsprechend benehmen und nicht unbedingt erwartungsgemäß zu singen beginnen…  „He came out of nowhere with no one beside him...“. Was könnte der Italo-Western bitte mit Polselli zu schaffen haben? Hä? Vier Mal geht noch!

 

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Filmplakate

Links

OFDb

IMDb

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