Im Blutrausch des Satans

Italien, 1971

Originaltitel:

Reazione a catena

Alternativtitel:

Bahía de sangre (ESP)

La baie sanglante (FRA)

Blood Bath (GBR)

Ecologia del delitto

A Bay of Blood

Bay of Blood

Twitch of the Death Nerve

Carnage

Regisseur:

Mario Bava

Kamera:

Mario Bava

Inhalt

Nach dem gewaltsamen Ableben einer Gräfin regiert unter den potentiellen Erben einer idyllisch gelegenen Bucht Mord- und Totschlag...

Review

I

 

Spätestens seit der KATZE UND DEM KANARIENVOGEL frei nach John Willard wissen wir, dass beim Erben die Freundschaft aufhört. Bei der Aussicht auf klingende Münze kennt nach der Testamentsverlesung manch einer seine besten Verwandten nicht mehr. Wie war das gleich bei Edgar Wallace und seinem INDISCHEN TUCH? Neun Erben sechs Nächte lang zusammengepfercht auf Schloss Lebanon. Das Kleingedruckte im Letzten Willen: Sollte einer der Erben das Schloss früher verlassen oder bei seinem Aufenthalt –diabolisches Kichern- „entschlafen“, wird sein Anteil unter den Verbliebenen aufgeteilt. Und fürderhin wird jeden Morgen am Frühstückstisch ein weiterer Stuhl frei...

 

II

 

Im Metier des italienischen Giallo besangen mörderische Barden oft und gerne das große Erbensterben. Die reiche Tante verschieden? Das große Geld zum Greifen nahe? - Um den ganzen Kuchen zu erwischen, wurde auch in unserem heißgeliebten „gelben Genre“ ohne Zögern zu drastischen Mitteln gegriffen. Schau nach in Evergreens wie TÖDLICHES ERBE, NAKED YOU DIE, SOLOKONZERT FÜR EINE PISTOLE oder SIEBEN TOTE IN DEN AUGEN DER KATZE. Wer teilt schon gerne?

 

III

 

Die vermögende Gräfin Federica Donati stirbt vor ihrer Zeit...an einem Strick um ihren Hals. Neben viel Barem hinterlässt sie auch eine idyllisch gelegene Bucht. In der buckligen Verwandschaft versammeln sich Raffgier, Geldnot, Egoismus und allgemeine Niedertracht. Alle sind sie scharf auf den zu erbenden Grund und Boden. Auf den haben aber auch schon die bösen Nachbarn ein Auge geworfen. Auch die gehen über Leichen, damit das Erbe bloß einem Verkaufswilligen zufällt.

Das Hauen und Stechen geht los. Buchstäblich. Mit Äxten, Sicheln, Messern, Lanzen, Scheren. Der potentielle Erbe wird zur bedrohten Spezies - oder zum eiskalten Killer...

Willkommen in Mario Bavas teuflischer, von den Todesschreien der dreckigen Erbschleicher und Verschwörer erfüllten BAY OF BLOOD. Wo man auf Identifikationsfiguren gepflegt scheißt und den Rest möglichst blutig und variabel zur Erbtante ins Jenseits schickt.

 

IV

 

Der bösartige, aber trotz allem irgendwo unter den ganzen Blutschlieren auch verschmitzt zwinkernde König aller Doomed heirs-Body Counts hat viele, klingende Namen: REAZIONE DI CATENA aka ANTEFATTO aka ECOLOGIA DEL DELITTO aka BAY OF BLOOD aka CARNAGE aka TWITCH OF THE DEATH NERVE aka IM BLUTRAUSCH DES SATANS.

Während Brothers in Crime wie THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE, BATTLE ROYALE oder EVIL DEAD längst von der Bundesprüfstelle begnadigt und vom Index gestrichen wurden, hat Bavas BAY OF BLOOD trotz ihres betagten Alters von mittlerweile auch schon fast fünfzig Lenzen erst im letzten Jahr eine Haftzeitverlängerung aufgebrummt bekommen. In den Augen der Deutschen Filminquisition schuldig im Sinne der Anklage des § 131 Abs. I Strafgesetzbuch. Will heißen, in Germany (unverständlicherweise) weiter Ehrenbürger auf Liste B.

 

V

 

Looks like we’re all end up subzero...“

 

Erst im Jahr zuvor, 1970, lieferte der Mann, der in den frühen Sechzigern gotische Horrorfilmgeschichte geschrieben und nebenbei den Giallo erfunden hat, mit FIVE DOLLS FOR AN AUGUST MOON einen auf einer einsamen Insel vonstatten gehenden tödlichen Abzählreim in bester AND THEN THERE WERE NONE-Manier ab. Dort war die millionenschwere Formel eines Wissenschaftlers Auslöser für einen Mörderreigen unter habgierigen Geschäftsleuten. Auch wenn der Kühlraum am Ende ebenfalls gestoßen voll mit Leichen hing; in FIVE DOLLS FOR AN AUGUST MOON wurde mit einem gut temperierten Cocktail in der Hand, zu beschwingter Umiliani-Mucke und in chilliger Lounge-Atmosphäre gestorben. Im Vergleich zu BAY OF BLOOD ist FIVE DOLLS FOR AN AUGUST MOON ein tiefenentspannter Feelgood-Body Count.

 

VI

 

Die BAY OF BLOOD macht ihrem Namen alle Ehre. Überraschend roh und düster geht der Maestro hier zu Werke. Es ist zweifelsohne Bavas blutigster Film. In diesem heillosen, (aber brillanten) Durcheinander aus Mord- und Totschlag muss der alte römische FX-Zauberer Carlo Rambaldi Schwerstarbeit verrichten: Machete ins Gesicht. Eine von Krebsen zerfressene Leiche. Und natürlich der berühmt-berüchtigte Akt, wo zwei vögelnde Teenager in flagranti von einer Lanze durchbohrt werden. Diese Szene gefiel übrigens Regisseur Steve Miner so gut, dass er sie 1981 in FREITAG DER 13 – Jason kehrt zurück im Maßstab 1:1 nachstellen ließ.

 

VII

 

BAY OF BLOOD markiert den fünften Giallo in Mario Bavas Filmographie. Obgleich er den  Thriller all’italiana selbst geprägt hat, hat er sich nie auf seine eigens entwickelten Schablonen verlassen, sondern mit jedem seiner Gialli die Genre-Grenzen neu ausgelotet.

THE GIRL WHO KNEW TOO MUCH aus dem Jahr 1963 war eine erste, noch deutlich Hitchcock verpflichtete Fingerübung in Spielfilmlänge. Ein Jahr später dann die Maßstäbe setzende BLUTIGE SEIDE, das ultimative Pionierwerk in Sachen schwarze Handschuhe und Rasiermesser. 1970 folgte zunächst - süffisant zwischen Giallo, Geisterfilm und rabenschwarzer Komödie tänzelnd- der auf den ersten Blick etwas irritierende, auf den zweiten Blick aber bös geniale HATCHET FOR THE HONEYMOON, dann die bereits erwähnte loungige „Zehn kleine Negerlein“-Variante FIVE DOLLS FOR AN AUGUST MOON. 1971 letztendlich BAY OF BLOOD; Giallo-Stilbruch Nummer 5.

 

VIII

 

Dabei sind die beiden Morde gleich nach dem atmosphärischen Vorspann mit der vom Meister selbst geführten Kamerafahrt über das Areal der in der Abenddämmerung liegenden Bucht und dem Todesflug der Fliege ebenso Giallo pur wie der herrliche, sich sofort ins Ohr fräsende Soundtrack von Stelvio Cipriani komponiert hat. Da haben wir opernhaft arrangiert unheilschwangeres Trommeln, melancholische Klavierklänge, dramatische Crescendi auf der Tonspur - und schwarze Handschuhe, Mordwerkzeuge und die in Agonie erstarrenden Gesichter der Opfer in der Totalen.

 

IX

 

Kurz nach dieser noch stilechten Eröffnung erfindet Bava mal eben die komplette Erfolgsformel für einen allseits bekannten Teenager-Schlächter mit Hockeymaske, wohnhaft Crystal Lake in nicht einmal fünfzehn Minuten. Wie er das schafft? Einfach das adoleszente Kanonenfutter in den knallgelben Buggy gepackt, beim Haus am See abgesetzt, dort dann die drei großen „A“des Schlitzerfilms in Stein gemeißelt. Die da wären Regieanweisungen nach dem Motto „Arschwackeln, Ausziehen, Aufteilen“: Die holde Brunhilde jetzt zum Nacktbaden in den See! Der Großkotz mit der kleinen Französin sucht sich nun bitte ganz woanders ein lauschiges Plätzchen für unverhüteten Geschlechtsverkehr! Ach ja; der Kerl mit der dämlichen Frisur darf sich ein bisschen plötzlich auf dem Gelände verirren! So? Gruppe getrennt? Ja? Ok, jetzt der Killer in die Manege – uuund Action!  

Keine großen Spirenzchen mehr, die Morde kurz, knackig, abwechslungsreich und blutig aneinandermontiert. Voilà, die Blaupause für den Slasherfilm Marke FRIDAY THE 13th. Drüben in Amerika mussten die Jungs in den Filmstudios die Formel nur noch um einen variabel maskierten Geisteskranken ergänzen und fertig war der Lack.

 

X

 

Nachdem Cipriani für die vier verblichenen Teenager den Beerdigungsmarsch gespielt hat, weht über die BAY OF BLOOD wieder ein gialloeskerer Wind; nämlich die steife Brise der Amoralität: Alle Beteiligten baden in Lug und Trug, die geschmiedeten Komplotte kommen peu à peu ans Tageslicht, weiter wird im Minutentakt gnadenlos über Leichen gegangen. Entgegen seinen meisten Werken ist Bava hier nicht so sehr darauf bedacht, mit ausgefeilter Farbdramaturgie, Lichtspielen oder stylischer Ausstattung zu beeindrucken; diesmal ist Bava im Blutrausch. Seine Meisterschaft ist in den ausgeklügelten Kameraeinstellungen und den stimmungsvollen Bildern immer noch erkennbar, doch hat er die für ihn so typische inszenatorische Eleganz zugunsten der Schockwirkung der blutgetränkten Bilder doch merklich zurückgefahren. Hier setzt er eine neue Marke. Hier bereitet er den Weg für den amerikanischen Slasherfilm. Für die ganz frühen Siebziger auffällig derbe, aber immer mit einem blutig-ironischen Zwinkern und einer hintergründigen Virtuosität versehen, dreht Bava in jener verträumt in der Dämmerung liegenden Bucht so gewaltig wie nie den Leichenzähler nach oben. Ganz egal wieviele Legionen Kids heutzutage an Halloween mit Hockeymaske und Gummimachete um die Häuser ziehen; das Original aus der Alten Welt bleibt unereicht.

Veröffentlichungen

Der amerikanische Anbieter Anchor Bay veröffentlichte eine DVD-Ausgabe des Films im zweiten Volume der Mario Bava-Collection. BAY OF BLOOD befindet sich dort in illustrer Gesellschaft mit anderen Werken des Maestros wie LISA AND THE DEVIL, BARON BLOOD, KIDNAPPED, ROY COLT AND WINCHESTER JACK, 5 DOLLS FOR AN AUGUST MOON und FOUR TIMES THAT NIGHT. Während in Sachen Bild- und Tonqualität keine Bäume ausgerissen werden, punktet die Anchor Bay-Veröffentlichung mit einem Audiokommentar des renommierten Bava-Experten Tim Lucas (der übrigens auch des Maestros Bibel „All the Colors of the Dark“ verfasst hat). Ansonsten gibt es den unten verlinkten Trailer zu sehen und die Möglichkeit, sich durch diverse Postermotive und Stills zu klicken. Da es sich um eine amerikanische DVD handelt, ist die Anchor Bay-Ausgabe nur auf RC 1-tauglichen Playern abspielbar.

 

Die deutsche DVD aus dem Hause XT Video hat zwar keinen Audio-Kommentar im Gepäck, dafür aber die deutsche Synchronisation. In der Extra-Abteilung finden sich im Vergleich zur US-DVD nicht weltbewegend mehr Goodies. Lediglich einen weiteren Trailer und ein paar Texttafeln mit Informationen zu Mario Bava ist hier die eher magere Ausbeute.

 

Dank der Edition Tonfilm durfte die BAY OF BLOOD hierzulande HD-Premiere feiern. Wie zu erwarten war, steckt die Blu-ray in Sachen Bild- und Tonqualität beide vorgenannte DVD-Geschwister in die Tasche und ist somit nicht nur wegen der schicken Mediabook-Verpackung die Referenzausgabe in meinem Filmregal. Bei den Extras hätte man sich allerdings etwas mehr Glückseligkeit gewünscht. Lediglich ein Booklet mit mehr Bildern als Text und eine Handvoll offensichtlich aus gutem Grund im Schneideraum gebliebener Alternativszenen addieren sich zu den aus den bisherigen Veröffentlichungen bekannten Goodies.

Filmplakate

Links

OFDb
IMDb

 

 

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