Das Stendhal Syndrom - Bilder des Wahnsinns

Italien, 1996

Originaltitel:

La sindrome di Stendhal

Alternativtitel:

Le syndrome de Stendhal (FRA)

Viagem ao Inferno (POR)

El síndrome de Stendhal (ESP)

The Stendhal Syndrome

Stendhal's Syndrome

Regisseur:

Dario Argento

Inhalt

Die Polizistin Anna Manni (Asia Argento) ist an den Ermittlungen gegen einen unbekannten Serienvergewaltiger und -mörder beteiligt. Als dieser erfährt, dass sie an dem Stendhal-Syndrom leidet, macht er sich dies zunutze und sie wird selbst zu seinem Opfer. Doch der Killer namens Alfredo (Thomas Kretschmann) lässt sie am Leben, denn noch ist er nicht mit ihr fertig. Ein zweiter Angriff findet statt, und Anna gelingt es nach weiteren Demütigungen den Täter zu überwältigen und anscheinend zu töten. Ihre Versuche, danach ein normales Leben zu führen und eine neue Beziehung zu beginnen, scheinen allerdings zum Scheitern verurteilt. Denn plötzlich meldet sich Alfredo am Telefon und droht, Annas Liebhaber zu ermorden.

Review

Im Jahre 1995 kündigte Dario Argento an, er wolle den härtesten Film seiner Karriere drehen und weckt damit falsche Erwartungen. Natürlich waren seine Worte an italienische Zuschauer gerichtet und bezogen sich somit auf das italienische Freigabesystem, wie er es kannte. Gore mitunter ab 14, sexuelle Gewalt ab 18. Doch es kam anders. „La Sindrome di Stendhal“ würde in Italien mit einer VM 14-Freigabe gezeigt, da sich die enthaltenen Vergewaltigungsszenen trotz aller seelische Härte in Sachen Nacktheit dankbarerweise komplett zurückhielten. Nicht jedoch in ihrem inhaltlichen Härtegrad.

 

Gott, was für ein mieser Anfang für einen Text. Mal schauen, ob es jetzt besser wird. Wir befinden uns in einem Giallo, bei dem wir den Täter – zunächst – von Anfang an kennen. Ein herrlich schmierig agierender Thomas Kretschmann gibt hier die Performance seines Lebens. Asia Argento meistert – nachdem Argento seine Wunschkandidatinnen Bridget Fonda oder Jennifer Jason Leigh nicht bekommen konnte – ihre Rolle mit Bravour. Und wer diese Beurteilung nicht nachvollziehen kann, für den habe ich eine Erklärung parat. Alle Fassungen von „Das Stendhal Syndrom“ sind gedubbt, keine ist perfekt. Thomas Kretschmann ist großartig in der deutschen Synchro, welcher er seine eigene Stimme lieh. Asia Argentos deutsche Synchronstimme wiederum ist im letzten Teil des Films recht anstrengend, was zu einer gewissen Albernheits-Wirkung führt, das bekommt die italienische Fassung besser hin, obwohl es auch dort nicht ihre Originalstimme ist. Das englische Dubbing kann in die Tonne. Grundsätzlich ist aber die deutsche Synchro mein Favorit, der kraftvolle Showdown zwischen Rudolfo und Anna in der Mitte des Films ist dialogtechnisch nirgendwo so schlüssig und bitterböse wie in der deutschen Fassung.

 

Ich weiß noch, was ich gedacht habe als ich „Das Stendhal Syndrom“ zum ersten Mal gesehen habe. Ein perfekter Anfang. Kamera, Setting, Musik (Ennio Morricone is back to Giallo!), alles perfekt. Ein böses Szenario, vergewaltigt zu werden, in einem Moment von psychischer Schwäche, zunächst ohne Erinnerung an die eigene Person, komplett desorientiert, das ist wahrhaft teuflisch und von Argento meisterhaft vermittelt. Die Geschichte folgt Anna dann weiter, beschäftigt sich mit ihrer Psyche nach der Vergewaltigung, und das überraschend glaubhaft. Langsam bahnt sich ein zweites traumatisches Erlebnis an, denn Rudolfo hat es weiterhin auf Anna abgesehen. In einer (von Graffiti-Sprayern in nur einer Nacht für Argento komplett dekorierten Höhle) kommt es zu einer zweiten Vergewaltigung, und der Zuschauer darf leiden, denn diese erneute Demütigung für Anna ist wahrlich schmerzhaft. Gefolgt wird dieses Erlebnis von einem erneuten – und letzten – Rückfall in das Stendhal Syndrom – was weiteres Leiden bedeutet. Schließlich kehr Rudolfo nach kurzer Abwesenheit in die Höhle zurück, und es kommt zum blutigen Showdown. Doch wieso geht der Film noch weiter?

 

In der zweiten Hälfte des Films – kommen wir also zum knallharten Spoiler-Teil des Textes – werden Mosaik-Steinchen aus dem vorherigen Teil zu einem dramatischen ganzen zusammengefügt. Bei Erstsichtung ist einem das nur wenig bewusst, da dreht sich eher alles um die eine Frage: Anna hat Rudolfo mit Kugeln durchlöchert, das Genick gebrochen und in den reißenden Fluss geworfen, wo die Birne des Perversen noch mehrfach gegen Felsen knallt – wird Argento es also tatsächlich wagen, den Kerl wieder Auferstehen zu lassen, um ihn als Mörder im Finale auftreten lassen? Wohl kaum. Zweifel werden geschürt, aber nein. Vermutlich erkennt man daran einen guten Film, wenn es dem Regisseur gelingt, den Zuschauer das Unmögliche für möglich zu halten.

 

Dabei waren alle Anzeichen da. Dass Anna sich nach der ersten Vergewaltigung die Haare abschneidet, ist freilich nicht ungewöhnlich. Doch es gab bereits Hinweise auf Persönlichkeitsveränderungen durch das titelgebende Syndrom. Wenn Anna sich dann am ganzen Körper mit Farbe beschmiert und sich in Embryonalstellung zusammenkauert, gleicht dies einer Metamorphose. Die blonde Perücke, über die sich so viele Zuschauer mokiert haben, ist wichtig. Es ist Rudolfos Haarfarbe, auch wenn Argento uns glauben lässt, Anna habe sich diese nur zugelegt, um die ihr von Rudolfo zugefügte Narbe im Gesicht zu verdecken. Die meisten Hinweise geben uns aber Annas Gespräche mit ihrem Psychiater. Eine Verwandlung steht bevor, und Annas späterer neuer Freund Marie Beyle (eine Referenz an Stendhal, dessen richtiger Name Marie-Henri Beyle war) wird zum Opfer. Anna verleiht ihrem Peiniger fast schon übernatürliche Macht über sich und nach dessen Tod hält sie diese am Leben, an dem sie diese komplett in sich aufnimmt. Sie wird zu Rudolfo.

 

„La Sindrome di Stendhal“ soll der erste italienische Spielfilm mit CGI-Effekten gewesen sein. Da niemand etwas anderes berichtet, lassen wir das so stehen. Was bleibt mir also noch zu schreiben? Genau, schmeißen wir zum Schluss mit Namen rum. Neben Asia Argento und Thomas Kretschmann fallen als guter Support-Cast vor allem Luigi Diberto als Inspektor Manetti und Paolo Bonacelli als Annas Psychiater auf, beides erfahrene ältere Darsteller. Die zwei jugendlichen Schmachtkerle des Films werden von Marco Leonardi (Marco, Annas früherer Liebhaber von der Polizei) und Julien Lambroschini (Marie, Annas neuer Liebhaber) gespielt. Genre-Fans können weitere bekannte Gesichter in kleinen Rollen entdecken: Vera Gemma (Tochter von Giuliano Gemma und Darstellerin in „Scarlet Diva“ (2000) und „The Card Player“ (Il cartaio, 2004) als Polizistin; Franco Diogene aus „Der geheimnisvolle Killer“ (Nude per l'assassino, 1975) und „Der Polyp - Die Bestie mit den Todesarmen“ (Tentacoli, 1977) als Witwer von einer von Rudolfos Opfern; Veronica Lazar aus „Horror Infernal“ (Inferno, 1980) und „Über dem Jenseits“ (...E tu vivrai nel terrore! L'aldilà, 1981) als Maries Mutter; Cinzia Monreale aus „Sado - Stoß das Tor zur Hölle auf“ (Buio Omega, 1979) und „Silbersattel“ (Sella d'argento, 1978) als Rudolfos Ehefrau.

 

Ich muss sagen, dass mich diese erneute Sichtung von „Das Stendhal Syndrom“ schwer begeistert hat, und wer tiefgreifenderes als meinen Text darüber lesen will, sollte mal in Robert Zions Filmblog reinschauen. Und da ich zu faul war, zu erklären, was das Stendhal Syndrom eigentlich ist, gibt es unten einen Wikipedia-Link dazu, in dem man auch mehr zu Graziella Magherini findet, deren Abhandlungen Dario Argento als Inspiration für seinen Film dienten.

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