Warnung vor einer heiligen Nutte

Deutschland | Italien, 1971

Originaltitel:

Warnung vor einer heiligen Nutte

Alternativtitel:

Precaução Ante uma Prostituta (BRA)

Atención a esa prostituta tan querida (ESP)

Attenzione alla puttana santa (ITA)

Cuidado com Essa Puta Sagrada (POR)

Beware of a Holy Whore

Deutsche Erstaufführung:

01. September 1971

Musik:

Peer Raben

Inhalt

Eine Film-Crew erwartet an der spanischen Küste den amerikanischen Star ihrer Produktion (Eddi Constantine), sowie den deutschen Regisseur Jeff (Lou Castel). Das Warten auf engstem Raum bringt die Luft zum brennen und alle Beteiligten werden zusehends gereizter, bis die angespannte Atmosphäre eskaliert. Es kommt zu Vorwürfen, Intrigen und aggressiven Ausbrüchen. Die Beziehungen untereinander führen außerdem zu Konkurrenzkämpfen, Verschwörungstheorien, verletzenden Schuldzuweisungen, neurotischen Anwandlungen, übersteigerten Eitelkeiten und verhängnisvollen Sex-Kapriolen. Der vorprogrammierte Terror wird nach dem Eintreffen des Regisseurs hemmungslos für seine Produktion ausgenutzt, doch auch er ist viel zu sehr in das Chaos involviert, als dass sich eine mögliche Schadensbegrenzung andeuten könnte...

Autor

Prisma

Review

"Warnung vor einer heiligen Nutte" klingt wie ein Titel, der nach seinesgleichen zu suchen hat und schürt eine unbestimmte Erwartungshaltung auf diesen Film eines Regisseurs, dem der Erfahrung nach alles zwischen Genie und Wahnsinn zuzutrauen war. Bleibt man bei dem Begriff »heilige Nutte«, kommt man als Zuschauer, der sich in jeder Beziehung überraschen lassen möchte, nicht umhin sich zu fragen, wie diese Gestalt wohl aussehen könnte. In etlichen Filmen zuvor hat man sogenannte heilige Huren serviert bekommen, manchmal hat der Film sich sogar selbst als solche entlarven lassen und der Zuschauer vielleicht eher weniger. Dennoch muss diese Bezeichnung bezüglich der Fassbinder-Clique isoliert betrachtet werden, was einem vielleicht nicht wirklich weiterhelfen wird, falls man mit dieser Materie nicht besonders gut vertraut ist. Der Titel spielt also dem Vernehmen nach auf das Filmgeschäft an, was angesichts des wahnsinnig aufregend klingenden Titels vielleicht etwas schade ist, da wie gesagt häufiger personifizierte heilige Nutten im Film zu bestaunen waren.

 

Diese im italienischen Sorrento gedrehte Produktion markiert also einen Wendepunkt in Rainer Werner Fassbinders Karriere und vereint letztmalig die Mitglieder des "Antitheaters" als Kollektiv. In "Warnung vor einer heiligen Nutte" kommt es zum groß angelegten Rollentausch, denn die Personen spielen sich gegenseitig selbst, sich wahlweise auch aus. Außerdem bekommt man den Eindruck, dass bei dieser Art der Reflexion das Seziermesser sehr empfindlich angelegt wurde, offenbaren sich doch immerhin himmelschreiende Neurosen, cholerische Anfälle, gegenseitig gleichgültige Tendenzen und Spielchen, die sich frei unter dem Motto "Bäumchen wechsle dich" abspielen. Die Charakterzeichnungen sind unkonventionellerweise vollkommen kaputt, die Vertrautheit, beziehungsweise die Intimität untereinander dominiert das Geschehen sehr effektiv und fabriziert als Umkehrschluss eine unüberbrückbare Entfernung zueinander.

 

Die Szenerie ist geprägt von Emotionen, Worten und Taten, die sich nicht länger unangebrachten Sentimentalitäten, unnützen Worten und Schmeicheleien, oder falschen Höflichkeiten beugen will. Langsam aber sicher entsteht innerhalb dieses erdrückenden Vakuums der Eindruck, dass genau unter jener Voraussetzung Ausraster vorprogrammiert sind, was zur Folge hat, dass der Zuschauer umso verwirrter auf dieses anstrengende filmische Experiment starrt, da Fassbinder das sonst im Film übliche Nähe-Distanz-Verhältnis komplett aufhebt. Man wird Komplize von Verbündeten, es tun sich Abgründe auf, von denen man eigentlich nichts hören, sehen und wissen möchte; kurzum, die Atmosphäre ist vollkommen zerrüttet und destruktiv. Als Zuschauer findet man kaum ein Verbindungsglied zum Dargebotenen, sodass es ein schmaler Grat ist, zwischen interessiertem Zuschauen und voreiligem Abwinken, denn es lässt sich kaum ein Transfer zur eigenen Realität herstellen.

 

Da man aber naturgemäß nach irgend welchen Berührungspunkten sucht, kommt ein interessantes Gedankenspiel kommt auf. Was käme zustande, wenn man selbst inszenieren und aus der Mottenkiste berichten würde? Vermutlich Dinge, die Andere nur bedingt, oder gar nicht interessieren würden. So will man zumindest meinen. Der Verlauf wird von seinen Darstellern getragen, um nicht zu sagen dominiert, die hier als gute alte Bekannte zu identifizieren sind und ohne sie wäre diese regelrechte Obduktion dieser Gruppe nur halb so interessant. Als Regisseur Jeff poltert Lou Castel durch die Kulisse, der einen Choleriker und Egomanen aus dem Bilderbuch skizziert. Seine Stimmungsschwankungen, Wutausbrüche und Launen sind vorprogrammiert, berüchtigt und gefürchtet. Seine Kollegen werden im Zweifelsfall zu Fußabtretern degradiert, allerdings sieht man auch die Zerrissenheit dieser offensichtlich von Alkohol und Drogen zerrütteten Person. Die Sex-Eskapaden geben dem Ganzen den Rest.

 

Trotz allem liegt der Eindruck nahe, dass sich alle Personen gegenseitig brauchen, ansonsten nämlich nicht klar kommen würden, obwohl auf der anderen Seite gedacht wird, dass sie ohne einander bestimmt besser dran wären. Hasslieben, emotionale, finanzielle und sexuelle Abhängigkeitsverhältnisse sind der Stoff, aus dem die Albträume sind, und Beteiligte wie beispielsweise Hanna Schygulla, Marquard Bohm, Kurt Raab, oder insbesondere Reiner Werner Fassbinder selbst, bestimmen die Story unausweichlich. Dieser progressive Schauspieler-Film bewegt sich daher häufig am Rande der Sehgewohnheiten, da Impulsivität, Aggression, Melancholie oder Lethargie strapaziöse Wechselspiele eingehen. Hinzu kommen die Dialoge, die man als Zuschauer zwar meistens akustisch versteht, sie aber trotzdem häufig nicht begreift. Überhaupt dominiert ein diffuses und unruhiges Element in diesem Zusammenhang die Gespräche, die gerne auch einmal durcheinander gehen, außerdem zwischen mehreren Sprachen hin- und herpendeln.

 

Der Zuschauer bekommt einiges abverlangt, doch obwohl er sich mit ins Boot genommen fühlt, ist es einfach Fakt, dass er in gleicher Weise, ohne jegliche Rücksicht ignoriert wird. Das Prinzip der vermessenen Eigenwahrnehmung und dem Überbewerten der eigenen Wichtigkeit bildet ein zumindest interessantes Prinzip, welches jedoch eher zwei Extrema bietet. Eigentlich. Entweder man bleibt interessiert dabei, oder man sagt dieser Truppe unverblümt und reaktionär, dass sie einen nicht beeindrucken konnte. Rainer Werner Fassbinder serviert letztlich eine Art Trauma zwischen Faszination und Verzweiflung und diese Film-Hautevolee ist eigentlich bedauernswert, kolportiert aber die These, dass ein Neuanfang am besten funktioniert, wenn man sich und andere komplett fertig macht, um möglicherweise ganz neu anfangen zu können. Alles in Allem bleibt zu sagen, dass ein Film der Clique für die Clique entstanden ist, und diese heilige Nutte nicht unbedingt das Potential für weitere Ansichten birgt.

Autor

Prisma

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