Die Wiege des Teufels

Italien, 1977

Originaltitel:

Nero Veneziano

Alternativtitel:

Die Hölle schickt ihren Sohn (D)

Damned in Venice (USA)

Blind Offer (DÄN)

Kuoleman Venetsia (FIN)

Venetian Black (NL)

Blindt Offer i Venedig (NOR)

Deutsche Erstaufführung:

14. November 1985

Regisseur:

Ugo Liberatore

Inhalt

Die junge Waise Christina und ihr vierzehnjähriger, blinder Bruder Mark kommen in Venedig bei Verwandten unter. Mark wird immer wieder von unheimlichen Visionen heimgesucht und um ihn herum mehren sich mysteriöse Todesfälle. Dann begegnet er dem dämonischen Mann aus seinen Alpträumen in der Wirklichkeit und kurz darauf ist Christina schwanger. Für Mark besteht kein Zweifel: Seine Schwester trägt das Kind des Satans aus...

Review

Gibt es einen passenderen Ort für den Teufel, um seinen Nachwuchs in die Welt zu setzen als Venedig? Venedig mit seinen Kanälen, den dunklen Wassern, dem Nebel, seinen alten Häusern und dem allgegenwärtigen Hauch des Verfalls? Gibt es einen geeigneteren Ort, den Verstand zu verlieren, als diese alte Stadt? Wohl kaum.

 

Somit hat der italienische Regisseur Ugo Liberatore den perfekten Schauplatz für seine WIEGE DES TEUFELS gewählt. Ein Okkult-Paranoia-Horrorfilm, der natürlich tief in der Tradition von WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN oder ROSEMARYS BABY steht.

 

Mit Pino Donaggio wurde gleich noch der Komponist der Filmmusik des ersteren verpflichtet. Und der Maestro hat ganze Arbeit geleistet: Auf der Tonspur erheben sich mal melancholische klassische Stücke, mal gespenstische Töne. Was die abseitig übersteigerte Geräuschkulisse angeht, lässt auch das BERBERIAN SOUND STUDIO schön grüßen. In Verbindung mit den atmosphärisch aufgeladenen Bildern aus dieser auf faszinierende Weise tristen Kanalstadt sorgt der gelungene Score einmal mehr für morbide Stimmigkeit im Quadrat.

 

Cinecittà Italia stand seinerzeit ja nicht nur für europäische Genrekunst, sondern auch im Ruf, billigen, dreisten Plagiatismus zu betreiben. Wenn man diesbezüglich einmal bei den vielen italienischen Exorzisten-, Endzeit- und Söldnerfilmen vorbeischaut, weiß man, dass dieser Vorwurf alles andere wie aus der Luft gegriffen ist. Doch ebenso unbestritten wurden in Italien einige sogenannte "Plagiate" geschaffen, die letztendlich dann doch eine ureigene Note aufwiesen und selbst zu Genre-Klassiker geworden sind; hier darf an Fulcis im Zuge vom DAWN OF THE DEAD-Erfolg entstandenen Zombiefilme gedacht werden oder an die vielen Italowestern, die sogar ihre großen amerikanischen Vorbilder überflügeln konnten.

 

Ein ganz so großes Werk ist Liberatore mit dem im Original wunderschön passend NERO VENEZIANO betitelte Film nicht geglückt. An Roegs venezianischen Totentanz kommt es nicht heran. Ebensowenig an die Intensität von Polanskis meisterlich inszenierten okkulten Schwangeren-Alptraum ROSEMARYS BABY. Wobei die (satanische) Schwangerschaft, die die im italienischen Genrekino erprobte Oldenburgerin Rena (LA ORCA) Niehaus eher so nebenbei "ereilt", ohnehin kein zentrales Element in der Handlung darstellt. Im Mittelpunkt steht immer der von Visionen (Wahnvorstellungen?) heimgesuchte, blinde Bruder.

 

Und dann wird DIE WIEGE DES TEUFELS manchmal gar von einem Hauch SUSPIRIA umweht. Weniger, was das Optische, das Virtuose angeht, sondern mehr was die Erzählweise und innere Logik betrifft. Wenn man einem Film, der so undurchsichtig zwischen Übernatürlichem, Wahn und Wirklichkeit umhergeistert, überhaupt mit einem Begriff wie Logik kommen darf...

 

Dabei ist Liberatores letztes Werk eines jener berüchtigten Slowburner, die langsam wie Lava vorwärtskriechen. Doch -um bei den bildhaften Vergleichen zu bleiben- folgt die Lava hier kaum einer geraden Linie, sondern verläuft sich in viele Richtungen. Diese Wege sind bisweilen unergründlich, bzw. so verschachtelt und konfus angeordnet, dass deren Bedeutung selbst nach der Schlussklappe nie richtig heraustritt. Nach einer schleppenden Disposition beginnt sich das gleich von vier Autoren (Alessi, Gandus, Rafaele, Liberatore) verfasste Drehbuch in seinen vielen verwirrenden Elementen und Sackgassen zu versteigen. Sodass am Ende ein auf den ersten Blick nicht durchschaubares Gesamtbild steht, welches den Zuschauer wohl oder übel mit einigen Fragezeichen zurücklassen wird. Die gewagte Mischung aus Erklärungsverweigerung und dem in düsteren, deprimierenden Stimmungen schwelgenden Nicht-Tempo an der Grenze zur Langatmigkeit dürfte also nicht jedermanns Sache sein.

 

Auch wenn NERO VENEZIANO auf den ersten Blick ähnlich subtil und in unerbittlicher Langsamkeit inszeniert wurde wie seine Idole, hat Liberatore die Trademarks des italienischen Horrorfilms dieser Zeit nicht vergessen. Die da natürlich Blut und Ekel heißen. Gewaltszenen gibt es zwar in schöner Regelmäßigkeit, doch wurden sie sehr viel dosierter eingesetzt und nehmen sich längst nicht so exzessiv wie in den Splatterfilmen eines Fulci, Deodato oder Lenzi aus. Sie erinnern eher an kurze Gewitter aus heiterem Himmel, die schneller wieder verschwinden als sie gekommen waren.

 

Im Schlussdrittel allerdings schickt man sich nach vielen prächtig widerlichen Großaufnahmen von allerhand ekligem Gewürm, etwas (erstaunlich) unselbstzweckhaft eingebauten Sex und ein paar blutigen Stechwerkzeugeinsätzen dann doch noch an, den Vogel mit einer richtig derben wie geschmacklosen Szene abzuschießen.

Was wiederum den Geist dieses Films ganz treffend beschreibt: Ewig schwankend zwischen subtil-gialloesk und brackig-krude; bis man sich zum Schluss im dämonischen Grenzland zwischen Wahn und Wirklichkeit dann endgültig hoffnungslos verirrt...

 

Ergo: Für die einen ein Geheimtipp, ein langsam in düsterer Atmosphäre köchelndes Höllengedicht; für die anderen Langeweile pur, die nur alle zehn Minuten von einer Ekelszene, einer Gore-Einlage oder einem lüsternen Blick auf Rena Niehaus’ wohlgeformte Brust unterbrochen wird. In meinen Augen ist NERO VENEZIANO eine sehenswerte italienische Variante bekannter Okkult-Paranoiaklassiker wie WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN, ROSEMARYS BABY oder DAS OMEN. Der Schauplatz Venedig gibt dem Ganzen die Prise Extra-Morbidität.

Review

Meine erste Konfrontation mit Venedig erlebte ich im Alter von 10 Jahren. Während des alljährlichen Hochsommerurlaubs in Südtirol ging es per Tagesausflug in die Lagunenstadt. Einerseits gab es Sehenswürdigkeiten en masse zu bestaunen, andererseits penetrante Touristenmassen, die die Auslöser ihrer Spiegelreflexkameras auf das Übelste malträtieren. Der Markusplatz war von Tauben übersät, die den hektischen Urlaubern mit Wonne auf die Sonnebrille und den Strohhut schissen. Die Schadenfreude der Kinder wurde mit elterlicher Korrektheit, sprich schallenden Backpfeifen erwidert. Der Reiseleiter warnte vor Taschendieben, und die heimischen Kellner legten den Touristen auch gern zweimal die Rechnung vor. Es war schrecklich! Die eigentliche Schönheit dieser Stadt konnte ich erst wesentlich später durch (na was wohl?) das „Kino“ kennen lernen. Nicolas Roeg und Luchino Visconti verbreiteten den Zauber Venedigs über meinen (in der Küche aufgestellten) tragbaren Schwarz-Weiß-Fernseher. Einige Jährchen später (als ich der stolze Eigentümer eines Farbfernsehers und eines VHS Recorders war) konnte mich die morbide Schönheit von Maurizio Lucidis „Todesengel“ (buchstäblich) erschlagen und die Stadt Venedig avancierte (für mich) zu einem depressiven und zugleich bedrohlichen Fleck der Filmwelt.

 

„Der Dämon wird den gleichen Weg einschlagen wie Christus.“ (Giorgio)

 

„Die Wiege des Teufels“ orientiert sich inhaltlich an Filmwerke wie „Das Omen“, „Rosemaries Baby“ und „Die Wiege des Bösen“. Look und Atmosphäre lassen Tendenzen in Richtung „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ und „Der Todesengel“ erkennen. Doch obwohl der Film seine Inspirationen eindeutig transportiert, scheue ich den direkten Vergleich mit den genannten Größen. Eine solche Gegenüberstellung könnte nämlich zu einer Unterschätzung von Ugo Liberatores Regiearbeit führen, was der Film absolut nicht verdient hat. Ich sehe eher eine feierlich geschmückte Visitenkarte, die von einer depressiven und düsteren Aura (im Stile einer Totenmesse) umgeben ist. Wer also besagte Inspirationen sekundär betrachtet, der wird „Die Wiege des Teufels“ als einen „reichen“ Film kennen lernen.

 

In einem morbiden, furchteinflößenden und dekadenten Venedig erleben Mark und seine Schwester einige mysteriöse Todesfälle. Mark, der seit drei Jahren erblindet ist, wird von Visionen geplagt. Der Eindruck, dass der Junge „einen Sprung in der Schüssel hat“ verblasst mit wachsender Spielzeit, da Schein und Sein zu einer Einheit verschmelzen. Liberatore spielt mit verdeckten Karten und kann den Rezipienten in einen Zustand von Ungewissheit versetzen. Dafür sorgen einerseits die Sensibilitäten, andererseits die Abgestumpftheiten seiner Protagonisten. Diese krassen Gegensätze erreichen allerdings nicht, dass man zu einer Figur ein besonderes Verhältnis aufbauen kann, denn ein Sympathieträger ist nicht auszumachen. Dem Zuschauer bleibt also nichts anderes übrig, als sich mit dieser Situation zu arrangieren und das Geschehen als neutraler (externer) Beobachter zu verfolgen. Dabei erkennen seine Adleraugen, dass der Film mit einigen Elementen des klassischen Horrorkinos auffährt. Dazu zählen religiöse Motive, wie das Wunderwasser in einem Brunnen, das Blinde zum Sehen bringen soll, sowie ein unheimliches Haus und ein ominöser Fremder. Diese Person, Dan, wird der altbekannten Erotisierung des Bösen unterzogen. Der unbekannte Aristokratentyp von dem sich Christine (die lt. eigener Aussage, das Böse faszinierend findet) angezogen fühlt. Mark erkennt in Dan, den Todesboten aus seinen Visionen wieder und fordert, dass dieser so schnell wie möglich aus seinem Umfeld verschwindet. Liberatore nutzt diese verheißungsvolle Grundkonstellation und lässt einige „Türchen geöffnet“, die die Theorien des Betrachters in eine labyrinthartige Mehrdeutigkeit schleusen. Weitere Zutaten des Gruselkinos sind Szenen, welche an den üblichen Horrorklischees „kratzen“ und einen gezielten Ekeleffekt verbreiten. Die Rede ist von kriechendem Getier wie Würmer im Wasserglas und Schlangen im Brunnen. Der Goregehalt ist überschaubar, aber gut um- und eingesetzt. Ein weiterer Trumpf ist der starke Soundtrack von Pino Donaggio. Mit melancholischen Kompositionen sowie teilweise minimalistischen Klangexperimenten kann eine beachtliche Wirkung transportiert werden.

 

Fazit: Ob dieser düstere, unspektakuläre und paradoxe Film in der Lage ist beim Zuschauer zu zünden, hängt zum größten Teil von dessen Aufmerksamkeit und Willen ab. Mich konnten die Kulissen und deren morbide Fotografie vollends in ihren satanischen Bann ziehen. Und einen Film, der ohne einen einzigen verfickten Sonnenstrahl auskommt - den muss man doch einfach gern haben!

 

Frost and winter return to my eyes.
The call of the wintermoon.
(Immortal)

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