Bandit zu besichtigen

Italien, 1968

Originaltitel:

I protagonisti

Alternativtitel:

Les protagonistes (FRA)

Os protagonistas (POR)

En la boca del lobo (ESP)

The Protagonists

Deutsche Erstaufführung:

05. Juni 1970

Regisseur:

Marcello Fondato

Inhalt

Fünf vom Alltag angeödete Großstädter (Sylva Koscina, Jean Sorel, Luigi Pistilli, Pamela Triffin und Maurizio Bonuglia) treffen sich eines schönen Abends rein zufällig in einem sardischen Feriendorf, wobei einer der Anwesenden den anderen ein lukratives Angebot für ein einmaliges Urlaubserlebnis unterbreitet: Ein gemeinsamer Ausflug in die einsame Bergwelt von Sardinien, um sich dort gegen Zahlung einer ordentlichen Geldsumme gemeinsam mit dem berühmt berüchtigten Banditenführer Thaddeu (Lou Castel) sensationsträchtig ablichten zu lassen. Gesagt, getan und nachdem die fünf gelangweilten Großstadtkinder das gut behütete Versteck des Banditen endlich erreicht haben, klicken nach Aushändigung der im Vorfeld vereinbarten Bargeldsumme auch schon die Fotoapparate, als würde es kein Morgen mehr geben. Doch leider haben die fünf selbstgerechten Doppelmoralisten die Rechnung ohne die Polizei gemacht, denn nachdem die heißersehnten Bilder im Kasten sind, steht plötzlich eine Hundertschaft von Polizeibeamten vor Thaddeus Haustür - die zwischenzeitlich im Rahmen ihrer Jagd nach dem sardischen Banditenführer den gesamten Hügel umringt haben. Als sich dann auch noch kurz darauf ein ausuferndes Bleigewitter direkt über den Köpfen der fünf bestürzten Großstadtkinder entlädt, gilt es für diese nun Postion zu beziehen. Aber leider lässt ihre Entscheidung nichts Gutes erhoffen...

Review

Marcello Fondatos Debütfilm steht nicht nur in der Tradition sardischer Banditenfilme wie beispielsweise BARBAGIA - VERFLUCHT IN ALLE EWIGKEIT, DIE BANDITEN VON ORGOSLO, VOM TOD BEGLEITET, DIE MAFIA-STORY, PELLE DI BANDITO oder dem gerade erst vor wenigen Jahren aus der völligen Versenkung wiederaufgetauchten HANNO UCCISO UN ALTRO BANDITO; sondern sollte auch sogleich 1968 auf den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt werden, die dann aber infolge der Unruhen des 'Pariser Mai' leider kurzfristig abgesagt werden mussten. Ganz leer ging der Film dennoch nicht aus, da ihm zumindest in seinem Heimatland von der Berufsvereinigung der italienischen Filmjournalisten (SNGCI) der 'Nastro d'argento' für das beste Drehbuch verliehen wurde. Fondato begann seine Karriere zunächst als Drehbuchautor für Mario Bava (DIE DREI GESICHTER DER FURCHT, BLUTIGE SEIDE), Duccio Tessari (TAT OHNE ZEUGEN) und Luigi Comencini (ZWEI TAGE UND ZWEI NÄCHTE), bevor er 1968 erstmals seinen Platz auf dem Regiestuhl einnahm. Seine beiden erfolgreichsten Werke dürften die beiden Komödien ZWEI WIE PECH UND SCHWEFEL und CHARLESTON - ZWEI FÄUSTE RÄUMEN AUF darstellen, die er gemeinsam mit dem Haudrauf-Hünen Bud Spencer inszenierte. Laut Marcello Fondato kam ihm die Idee zu seinem ersten Film, nachdem er einen Artikel in der italienischen Wochenzeitung L'Espresso las, der von Touristen handelte, die sich gegen Zahlung einer hohen Geldsumme mit einem berühmten Banditen in dessen Versteck treffen wollten. Die Idee hätte ihn dabei sehr beeindruckt, zumal diese mit seinen bereits vorhandenen Vorstellungen für seinen ersten Film zusammenpasste. „Es waren nicht die Gründe für bestimmte Phänomene - nennen wir sie Banditerie- , die mich interessierten, wie beispielsweise die tief verwurzelten Gründe, die sich über Jahrhunderte der Verzweiflung und Armut entwickelt haben. Das hat mich nicht interessiert. Was mich interessierte, war die Idee, eine Show und ein Spektakel zu sehen, und wie lange die Menschen diesen Nervenkitzel aushalten würden. “

 

Den fünf schäbigen Protagonisten in seinem Debütfilm wird der gesuchte Nervenkitzel jedenfalls zum Verhängnis, denn als sich diese am Ziel ihrer erlebnisorientierten Urlaubsträume plötzlich von einer Hundertschaft von Polizeibeamten umringt sehen, heißt es für sie von jetzt auf gleich 'Schluss mit lustig!'. Dabei hatten sie in ihrer arroganten Überheblichkeit doch gerade erst damit begonnen, die Moralkeule über dem Kopf des Banditen zu schwingen. Nachdem die respektlosen Großstadtkinder den Halunken bereits während der ausgelassenen Fotosession regelrecht vorgeführt hatten, folgt kurz darauf eine Art selbsteinberufens Kreuzverhör, indem sie Thaddeu nicht nur seiner vermeintlichen Greueltaten anklagen, sondern auch unmissverständlich herausstellen, dass sie eindeutig die besseren Menschen sind. Das Ganze ändert sich jedoch schlagartig, als plötzlich die Spezialeinheit der 'Blue Barrets' anrückt und dem Mündungsfeuer ihrer Schusswaffen freien Lauf lässt. Völlig verängstigt beobachten sie durch ihre Ferngläser das Anrücken der schießwütigen Polizeihundertschaft, als Thaddeu ihnen für eine bessere Sicht plötzlich Gewehre mit weitaus präziseren Zielfernrohren aushändigt. Mit der Flinte in der Hand und den Blick starr durch das Zielfernrohr gerichtet, überkommt die gesinnungslose Brut schlagartig ein noch viel stärkerer Nervenkitzel - nämlich die Lust am Töten! Und ehe sie sich versehen, befinden sich auch schon mehrere Finger an den Abzugsvorrichtungen der jeweiligen Schusswaffen, die gnadenlos auf die anrückende Ordnungsmacht gerrichtet sind. Dieser Moment dürfte dann auch den entscheidenden Augenblick darstellen, der bei einigen dieser scheinheiligen Gutbürger das zuvor noch streng verurteilte Tier im Menschen hervorruft - was wiederum zeigt, welch Geisteskind wahrhaftig in ihnen steckt. Spätestens als aber tatsächlich die ersten Schüsse von Seiten der Erlebnissuchenden fallen, ist aus einem verwerflichen Spaß tödlicher Ernst geworden; denn das unwiderstehliche Machtgefühl über Leben und Tod, gepaart mit den sowieso schon zweifelhaft wirkenden Charakterzügen der urbanen Sippschaft, lässt in diesem Moment das letzte Fünkchen Menschlichkeit in ihnen verglühen. Doch glücklicherweise bewahrt sie die weitere Zuspitzung des Konflikts vor einem endgültigen Sündenfall, denn angesichts der immer brenzliger werdenden Situation werfen die fünf Touristen schlagartig ihre Flinten ins Korn und treten daraufhin panisch die halsbrecherische Flucht vom Hügel des Verderbens an. Als sie schließlich mit letzter Kraft -aber immerhin wohlbehalten- den Parkplatz ihres abgestellten Wagens erreichen, gilt es nach einer kurzen Verschnaufpause ihre unmenschliche Entgleisung aus Angst vor möglichen strafrechtlichen Sanktionen gegenseitig zu rechtfertigen - wozu sich die fünf Doppelmoralisten nicht nur erneut erhobenen Hauptes weit über den Banditenführer stellen, sondern auch dessen vermeintliche Verfehlungen in den Fokus ihres außer Kontrolle geratenen Handelns rücken. Als Ergebnis kommen die Beteiligten zu dem Schluss, dass sie als selbsternannte Gutbürger in der Pflicht stehen, den in ihren Augen schon immer kriminell gewesenen Thaddeu der Polizei auszuhändigen. Was folgt, ist die finale Stürmung des bis dato immer noch unentdeckten Unterschlupfs durch die Blue Barrets, in deren Verlauf es zu zahlreichen Toten auf beiden Seiten kommt.

 

"Was haben wir bloß getan?"

 

So in etwa dürfte dann auch das Fazit dieses Films lauten, das sich auch zugleich in der gezeigten Schlusssequenz widerspiegelt: Die fünf entsetzten Protagonisten sitzen wortlos und geschockten Blickes in ihrem Auto, währendessen sie im Radio für ihre vermeintliche Heldentat abgefeiert werden. Doch da ihr vorausgegangenes Handeln alles andere als heldenhaft war, und sie außerdem aufgrund ihrer eigenen Charakterschwäche den Tod mehrerer Menschen verantworteten, endet der Film mit fünf traumatisiert dreinblickenden Gesichtern, denen allesamt die gleiche Fragestellung in Großbuchstaben auf der Stirn geschrieben steht: 'Was haben wir da bloß angerichtet!'

 

Und genau dieser Moment erinnerte mich dann auch an die Schlusssequenz von DAS GESCHLECHT DER ENGEL, in der den hauptverantwortlichen Rauschgiftengeln ebenfalls das blanke Entsetzen über ihre verübte Untat ins Gesicht geschrieben steht. Leider wurde diese Schlüsselszene ausgerechnet vom damaligen deutschen Filmverleiher entfernt, so dass der besagte Moment in seiner vollen Pracht nur in der italienischen Originalfassung bestaunt werden kann.

 

Als Triebfeder dieses verhängnisvollen Urlaubsspaßes kann der französische Schauspieler Jean Sorel angesehen werden, da dieser in der Rolle des 30-jährigen Mailänders Roberto Lodetti überhaupt erst den Vorschlag für das nervenkitzelnde Himmelfahrtskommando in die Runde einbringt. Aber auch wenn es darum geht, die begangenen Taten aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen zu rechtfertigen, mischt Sorel völlig unverfroren an vorderster Front mit. Anstatt sich seiner begangenen Schandtat zu stellen, beschwichtigt er sein schlechtes Gewissen vielmehr dadurch, dass er sich und den Rest der erlebnissüchtigen Bagage zu besseren Menschen erklärt, die mit einem verabscheungswürdigen Banditen so rein gar nichts gemein haben. Und wie sämtliche der männlichen Mitstreiter innerhalb der Reisegruppe ist auch er nicht gerade immun, wenn es darum geht, den unausweichlichen Reizen der beiden weiblichen Erlebnisurlauberinnen zu widerstehen. Zum einen wäre da die Jugoslawin Sylva Koscina, die in der Rolle der 32-jährigen Florentinerin Nanny Fiorini nicht nur ein undurchschaubares Spiel betreibt, sondern auch zwei der drei männlichen Schwerenöter eiskalt abblitzen lässt. Zudem vermittelt die verwitwete Literaturprofessorin stellenweise den Eindruck, dass das Angewidertsein über sich selbst eine gewisse Faszination in ihr weckt. Die zweite Erlebnisurlauberin hört auf den Namen Gabriella Nardo, ist 22 Jahre alt und wird von der US-amerikanischen Darstellerin Pamela Tiffin verkörpert. Während des gesamten Filmverlaufs bemüht sie sich seltsamerweise ständig zu betonen, wie wichtig ihr ihre vermeintliche Unabhängigkeit gegenüber dem männlichen Geschlecht ist, obwohl sie ihr Leben augenscheinlich überhaupt nicht aus eigenen Kräften finanziert bekommt. Als Nächstes wäre mit dem 42-jährigen Carlo Tassoni ein römischer Bauunternehmer an der Reihe, der bereits mit zwei seiner selbstgeführten Betriebe ausgelassen Konkurs feierte. Sein Rollencharakter entpuppt sich dabei als recht ruppig und prollig, wodurch er die sowieso schon angespannte Gruppendynamik vollends zum Wabern bringt. Dargestellt wird der draufgängerische Unternehmer übrigens von keinem Geringeren als dem unvergleichlichen Luigi Pistilli. Der Letzte im Bunde ist der ehemalige Mechaniker und Gebrauchtwagenhändler Nino Cantini, dessen Rolle wiederum von dem italienischen Darsteller Maurizio Bonuglia gespielt wird.

 

Dann wäre da auch noch der schwedisch-italienische Schauspieler Lou Castel, der am 28.05.1943 unter dem Namen Ulv Quarzéll in Kolumbien das Licht der Welt erblickte und im vorliegenden Film den sardischen Banditenführer Thaddeu verkörpert. Gejagt von einem Sonderkommando der Polizei als auch von einer verfeindeten Bande, fristet der furchtlose Thaddeu-Clan im Schutz der sardischen Bergwelt sein einsames Dasein, bis er eines schönen Tages fünf überheblichen Touristen die Erlaubnis für eine Privataudienz in seinem geheimen Unterschlupf erteilt. Ein fataler Fehler, wie sich im Nachhinein herausstellt, denn nachdem ihm seine zahlungskräftigen Gäste bereits während der Fotosession quasi vorführten, folgt im Anschluss eine Art Kreuzverhör, in dem ihm seine vermeintliche Schandtaten in einem anklagenden Tonfall gnadenlos vorgehalten werden. Doch anstatt die unliebsame Brut des geheimen Platzes zu verweisen, versucht er diesen gegenüber vielmehr händeringend seine Unschuld zu beweisen, was wiederum in einem verzweifelten Gefühlsausbruch endet. Als Dank für seine Offenheit bringen ihm die fünf Doppelmoralaposteln dann auch noch hämische Bemerkungen entgegen, wodurch die sowieso schon angespannte Stimmung weiterhin angeheizt wird. Doch bevor die Situation vollends eskaliert, erscheint wie aus dem Nichts eine bis an die Zähne bewaffnete Hundertschaft von Blue Barrets, die daraufhin den Hügel der Banditen zu stürmen versucht.

 

Bei all der Niedertracht und Scheinheiligkeit scheint es auch nicht verwunderlich, dass es dem Betrachter schwer fallen dürfte, unter den bis dato aufgezählten Protagonisten einen geeigneten Sympathieträger ausfindig zu machen. Doch glücklicherweise ist auch noch Gabriele Ferzetti mit von der Partie, der in der Rolle des ermittelnden Kommissars zumindest ein wenig Menschlichkeit walten lässt: Nachdem dieser nämlich bereits sehr früh Wind von dem geplanten Leichtsinn der fünf Erlebnisurlauber bekommen hat, beobachtet er von da an deren verwerfliches Treiben genauestens, um sie letzten Endes vor dem selbst heraufbeschworenen Unheil bewahren zu können. Doch leider trifft er im Zuge seiner Beschattung auf den obersten Kommandoführer der Blue-Barrets, der sich seinerseits wiederum als erste Priorität die Festnahme des Banditenführers Thaddeu auf die Fahne geschrieben hat. Was folgt, ist ein heftiges Kompetenzgerangel zwischen den beiden Parteien, wobei dem Kommandoführer das Leben der leichtsinnigen Clique völlig gleichgültig ist, denn für ihn zählt letztlich nur die Ergreifung des missliebigen Banditenführers, für die übrigens auch ein Kopfgeld in Höhe von 10 Millionen Lire ausgesetzt ist. Dem entgegen steht Kommissar Ferzetti, der seinen Auftrag vielmehr darin sieht, vermeintlich unbescholtene Bürger sowohl vor sich selbst als auch vor den enormen Risiken eines bewaffneten Übergriffs zu schützen, denn trotz des geplanten Himmelfahrtkommandos haben die fünf Kamikazeurlauber bis dahin kein nachgewiesenes Verbrechen begangen - und wenn, dann keins, das mit dem Tode bestraft gehört! Was bleibt, ist das Rätselraten über die Beweggründe eines solch kopflosen Unterfangens...

 

In unseren Breitengraden wurde der Film übrigens von der DEFA am 05.06.1970 uraufgeführt, wozu auch eigens eine deutschsprachige Synchronfassung angefertigt wurde. Leider gab es seit dem damaligen Kinoeinsatz keine Möglichkeit mehr, den Banditen in seiner deutschen Synchronfassung zu besichtigen - es sei denn, der Film wurde irgendwann einmal im ost- oder westdeutschen Fernsehen ausgestrahlt. Daher wäre es auch sehr wünschenswert, wenn sich eins der verdienstvollen Filmstudios in naher Zukunft auch dieser außergewöhnlichen Filmperle annehmen könnte, denn angesichts der Angaben auf der entsprechenden Internetseite der DEFA-Stiftung könnte zumindest dieser noch eine Kopie der deutschen Kinofassung vorliegen (Format: 35mm - Länge: 2862 Meter).

 

Fazit: Zuviel Nervenkitzel ist oftmals nicht so gut fürs Ego.

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