Ein Toter lacht als Letzter

Frankreich | Spanien, 1973

Originaltitel:

La campana del infierno

Alternativtitel:

La cloche de l’enfer (FRA)

A due passi dall’inferno (ITA)

Os sinos do inferno (POR)

The Bell of Hell (UK)

A Bell from Hell (USA)

Ab in die Hölle

The Bells (Int.)

Deutsche Erstaufführung:

19. Juli 1974

Kamera:

Manuel Rojas

Inhalt

Bevor John das reiche Erbe seiner verstorbenen Mutter antreten kann, sorgen die raffgierige Tante Marta und deren drei Töchter dafür, dass er entmündigt in der Klapsmühle landet. Nach Jahren erhält er den ersten Freigang auf Probe. John bleibt nicht viel Zeit, aber diese will er nutzen, um es seiner erbschleicherischen Familie heimzuzahlen...

Review

Auch wenn EIN TOTER LACHT ALS LETZTER auf keiner der offiziellen und inoffiziellen Listen, auf denen Genreliebhaber wie wir alle Gialli dieser Welt mühsam zusammengetragen haben, auftaucht: Im Grunde seiner Seele ist Claudio Guerin Hills letzter Film vielleicht trotzdem ein Giallo.

 

Strenggenommen genügt er allerdings nicht den gängigen Genredefinitionen. Weit entfernt von den Rasiermesser- und schwarzen Handschuhpfaden wandelnd disqualifiziert sich die spanisch-französische Co-Produktion allein schon wegen der fehlenden italienischen Hand in der Produktion. Obwohl letzteres spätestens seit AMER kein Ausschlusskriterium mehr sein dürfte und auch nie wirklich eines war. (Wer würde etwa in dem spanischen Geniestreich LA RESIDENCIA aus dem Jahr 1969 etwas anderes sehen wollen als einen durch und durch großartigen Giallo?) Ich jedenfalls wette, dass EIN TOTER LACHT ALS LETZTER –wäre er italienisch- allerortens ebenso mit Stolz als Giallo bezeichnet werden würde wie solch genre-atypische Genialitäten wie Bazzonis mysteriöses Psychodrama SPUREN AUF DEM MOND. So aber lässt sich Claudio Guerin Hills Vermächtnis ob seiner Chamäleonnatur nur sehr schwer einordnen.

 

Doch lassen wir das sture Schubladendenken einfach mal außer Acht und blicken der Tatsache ins Auge, dass dieses intelligente wie bösartige Schmuckstück von einem Psychothriller durchaus ins Beuteschema des (aufgeschlossenen) Giallo-Afficionado passt. Und EIN TOTER LACHT ALS LETZTER ist ein lohnender Blick über den Tellerrand.

Eine gewisse Nähe zum Giallo ist ohnehin nicht zu leugnen. Was nicht verwundert: Die Bilder stammen von Manuel (MY DEAR KILLER) Rojas; Story und Drehbuch von Santiago Moncada. Letzterer war schließlich am Drehbuch zu Sergio Martinos Sahne-Giallo DIE FARBEN DER NACHT beteiligt. Und kein Geringerer als Moncada hat einst den schwarzhumorigen, gespenstischen HATCHET FOR THE HONEYMOON für Mario Bava geschrieben.

 

Schwarzen Humor gibt es auch bei EIN TOTER LACHT ALS LETZTER. Er ist noch um einiges grimmiger als bei HATCHET FOR THE HONEYMOON ausgefallen. Besäße das Geschehen auf dem Bildschirm einen Mund; es trüge stets und ständig ein irres, aber irgendwie auch verschmitztes Grinsen zur Schau. Ohne einen einzigen Tropfen Kunstblut zu vergießen, hat es EIN TOTER LACHT ALS LETZTER oder A BELL FROM HELL (so ein anderer gängiger Alternativtitel) geschafft, sich über Jahrzehnte auf dem bundesdeutschen Index zu halten. Was man wohl durchaus als Indiz für eine nicht zu unterschätzende psychologische Härte werten darf.

 

Wie so oft unter der Knute unserer immer noch viel zu restriktiven deutschen Filmzensur ist es dennoch nicht nachvollziehbar, warum dem Film die hiesige Verbreitung so enorm erschwert wird. A BELL FROM HELL ist von plumper, selbstzweckhafter Gewaltverherrlichung weit entfernt. Der Film präsentiert sich viel mehr als schlaues Kerlchen mit scharfem Blick auf eine verkommene, egoistische, materialistisch eingestellte Gesellschaft. Sein Pech ist nur, dass man in Deutschland auch mit Intelligenz, schwarzem Humor und Kunstanspruch nicht vor einer Indizierung gefeit ist.

 

Vielleicht war den Zensoren auch ein Dorn im Auge, dass es dem Film spielerisch gelingt, den Zuschauer auf die Seite des vermeintlich verrückten und zum Mord bereiten John zu ziehen. In EIN TOTER LACHT ALS LETZTER ist nämlich Derjenige Sympathieträger, der seine drei Cousinen nackt wie Schlachtvieh aufhängt und einen bösartigen Mordanschlag mit Hilfe von Bienen verübt. Dies ist allerdings auch derjenige, der eine Minderjährige vor einer Gruppenvergewaltigung rettet und dem die Freiheit wichtiger als Geld ist. Doch zwischen der Freiheit und John stehen seine resolute Tante und deren Töchter. Irgendwie verständlich, dass er die dann aus dem Weg räumen muss. Und weil sich Tantchen und zumindest eine der Cousinnen mit Adjektiven wie Niedertracht, Raffgier und Kaltblütigkeit schmücken, drückt man ihm dabei insgeheim gerne die Daumen.

 

Lehnen wir uns also zurück und genießen einen spannenden, trickreichen Psychokrieg, bei dem der Einsatz ständig erhöht wird. Erst geht es nur ums Geld, am Ende um Leben und Tod. Und in diesem Duell hat die eine Partei gegenüber der anderen immer noch einen weiteren Trumpf in der Tasche. Am Ende erweisen sich die (Original-)Titel gebende Glocke und der dazugehörige Kirchturm als Schicksalsmächte.

 

Leider wurde auch im wahren Leben der im Film zu sehende Kirchturm zum Schauplatz eines Dramas. Am letzten Drehtag stürzte der vierunddreißigjährige Regisseur Claudio Guerin Hill von eben diesem Turm in den Tod. Es konnte nie geklärt werden, ob es sich dabei um einen tragischen Unfall oder um Selbstmord gehandelt hat. Uncredited hat Juan Antonio Bardem den Film in der Postproduktion vollendet. Damit ist A BELL FROM HELL das Vermächtnis eines jungen, ambitionierten Filmemachers, der hier weit abseits des Gewöhnlichen agiert und etwas Großartiges, unbedingt Sehenwertes erschaffen hat.

 

Fazit: Irgendwo zwischen Arthaus-Exploitation, Psychothriller, Horrorfilm, schwarzer Komödie und gialloeskem Szenario schlägt die BELL FROM HELL zu einem von gespenstischen Kinderstimmen vorgetragenen "Frère Jacques". Dies tut sie offenbar unter solch massivem Einsatz von einschüchternder psychologischen Artillerie, dass man sich in Deutschland gezwungen sah, diesen völlig auf Kunstblut verzichtenden, aber ultra-makaberen Psychokrieg über Jahrzehnte hinweg auf den Index zu verbannen. Trotz einem gelegentlich ironischen Augenzwinkern ist EIN TOTER LACHT ALS LETZTER ein düsterer und grimmiger Film, der sich gegen eine von Geldgier und Rücksichtslosigkeit zerfressene Gesellschaft richtet, die keinen Platz mehr für Selbstentfaltung und Träume übrig lässt. Großartig, dass der gleichzeitig letzte und beste Film von Claudio Guerin Hill, der tragischerweise bei den Dreharbeiten ums Leben gekommen ist, trotzdem bald eine Veröffentlichung im deutschsprachigen Raum erfährt.

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