Die Engel von St. Pauli

Deutschland, 1969

Originaltitel:

Die Engel von St. Pauli

Alternativtitel:

Angels of the Street (GBR)

Quante belle serafine per le strade cittadine (ITA)

Deutsche Erstaufführung:

24. Oktober 1969

Regisseur:

Jürgen Roland

Inhalt

Jule Nickels (Horst Frank), seines Zeichens Kiez-Urgestein und Gentleman-Lude zugleich, zieht die Fäden in St. Paulis Unterwelt. Seine Kumpanen achten ihn, die weiblichen Bediensteten mögen ihn und auch die ortsansässige Staatsgewalt lässt ihn weitesgehend in Ruhe, denn im Kiez soll es gefälligst friedlich zugehen. Das ändert sich allerdings recht flott als der Wiener Zuhälter Holleck (Herbert Fux) mit samt seiner Clique in  Hamburg-Mitte einmarschiert und die Konkurrenz belebt. Um sein Stück vom roten Milieukuchen so schnell wie möglich zurückzubekommen, versucht Nickels sofort die angereisten Geschäftsbeeinträchtiger aus seiner Stadt rauszueckeln. Daraufhin entbrennt ein Kleinkrieg zwischen den beiden Banden, welcher auch bald sein erstes Todesopfer fordert. Zu allem Überfluss wird noch eine von Nickels weiblichen Angestellten in ihrer Dienstausübung von einem Unbekannten (Werner Pochath) gemeuchelt, woraufhin der Kiez-Kommissar Beringer (Günther Neutze) auch nicht mehr länger den Duldsamen spielen kann und schleunigst Aufklärung an den Unterweltboss anordnet - sonst könnte die Hütte im Hamburger Rotlichtviertel bald so richtig brennen...

Review

Holla, endlich wieder ein St. Pauli-Reißer, welcher (aufpoliert im frischen Gewand) nach zig Jahren das Licht der digitalen Bilderwelt erblicken darf. Da freut sich das Schmuddelherz, denn Kiezfilme donnern meistens wie heftige Kanonenschläge und hinterlassen oftmals gewaltige Trümmer im Sehverhalten des Beäugers - natürlich rein auf der guten Unterhaltungsebene bezogen! Wenn ich an die ganzen Kracher von Rolf Olsen denke, fangen bei mir ganz schnell die Glückstränen an zu kullern, denn was da auf Zelluloid gebannt wurde, ist schlichtweg vergnüglicher Wahnsinn, welcher angenehm ins hansestädtische Milieukorsett gepresst wurde. Egal ob Curd Jürgens das Amt des Arztes, Kommissars oder Pfarrers ausübte - er war halt die schauspielerische Institution in Olsens Kiezraketen. Auch wenn Jürgen Rolands Ausflüge auf die Rotlichtmeile nicht ganz so bahnbrechend waren, so verstand er es auf eine andere Art und Weise das Publikum in seinen Bann zu ziehen, auch ohne Curd Jürgens - denn die gute deutsch-österreichische Seele hätte in "Die Engel von St. Pauli" irgendwie nicht reingepasst. Man wird ihn auch zu keinster Zeit vermissen, denn hier dürfen andere Darstellerkaliber auftrumpfen. Allen voran Horst Frank als Oberlude Nickels, welcher das Geschäft mit eiserner Hand führt, aber seine Gefolgschaft ebenfalls zu achten versucht. Horst Frank darf sich noch vor seiner regulären Screentime in die Herzen der Zuschauer spielen, denn sein im Off gesprochener Monolog zum anfänglichen Trauermarsch, lotet mit der nötigen Geschäftscoolness sofort die Sympathien des Publikums aus - welches ihn in Folge dessen mögen oder hassen wird, denn Gleichgültigkeit wird diese Rede sicherlich nicht auslösen. Bei mir traf natürlich ersteres zu und ich denke es wird den meisten Betrachtern ebenso ergehen. Somit hätten wir auch schon den Favoriten des angezettelten Machtkampfs im hamburg'schen Prostitutionsgewerbe, denn Herbert Fux' gespielter Lude Holleck kommt nicht mal ansatzweise an die darstellerische Brillanz von Herrn Frank heran. Ich weiss nicht ob das von Jürgen Roland so beabsichtigt war oder es nur mir so ergeht, aber hier ist für mich einer der wesentlichen Knackpunkte des Films, denn ich persönlich hätte mir ein Duell auf Augenhöhe gewünscht.


Nun gut, handeln wir noch schnell den zweiten Beanstandungspunkt meinerseits ab, bevor ich wieder die positiven Chöre erklingen lasse, nämlich den Verlauf der Geschichte. Wird anfangs doch recht geradlinig das Kiez-Business auf fetzige Art und Weise erklärt, verfängt sich Roland nach einer halben Stunde etwas in milieu-spezifischen Belanglosigkeiten, welche kurzerhand die Schaugelüste etwas bei mir ausbremsten, woraufhin aber kurze Zeit später mit dem Auftreten von Werner Pochath glücklicherweise wieder umgelenkt werden konnte. Pochath ist mal wieder in einem seiner typischen Auftritte als junger Mann mit rapider Persönlichkeitsstörung zu sehen und ich will auch keinesfalls damit andeuten, dass er nur auf diesen Rollentyp limitiert werden sollte - aber eines ist dennoch sicher: Der gebürtige Österreicher ist einer meiner liebsten Bösewichte aus vergangenen Zeiten und man kann ihm nicht hoch genug anrechnen, wie er so manchen Genrefilm mit seiner Präsenz, ob nun kurz oder lang, verdeln konnte. In diesem Film hält sich der gute Werner allerdings etwas zurück und spielt nicht das volle Können seiner inneren Unruhe aus. Lediglich gegen Ende des Films entläd sich ein Teil seiner negativen Gefühle in einem Hauch von amokhafter Wucht, welche mich dann doch wieder etwas versöhnlich stimmte. Aber zurück zum Erzählverlauf, welcher im Mittelteil leider etwas stockte, aber gegen Ende mit inszenatorischer Genialität alle Fäden wieder zusammenlaufen lässt. Sieht man über diesen kleinen Fauxpas hinweg, wobei meine diesbezügliche Ansicht sicher im unterlegenen Prozentualbereich der Zuschauer liegen dürfte, wird man mit einer feschen Dramaturgie belohnt, welche in der grandiosen Schlußsequenz ihrem Höhpunkt entgegen prescht, die zudem auch noch mit tollen Kameraeinstellungen von Objektiv-Routinier Petrus R. Schlömp ("Scarabea" und "Tätowierung" seien hierbei mal hervorgehoben) auftrumpft. Überhaupt konnte Schlömp die damalige Kiez-Atmosphäre in wunderbaren Bildern einfangen, mal eher von der Strassenkälte umworben, dann wiederum im Puff mit aufgewärmter Gestaltung oder in der muffigen Lagerhalle mit präziser Ausweglosigkeit - aber immer passend zur jeweiligen Szenerie.


Weitere hervorgehobene Leistungen gibt es von Günther Neutze als Kommissar Beringer, der mit seiner besonnenen und ruhigen Art diplomatisches Geschick beweisen muss, ebenso von Gernot Endemann (welcher hier von Hörspiel-Veteran Andreas von der Meden nachsynchronisiert wurde) als Blinky, ein kleines Ganovenlicht, welches zwischen beiden Parteistühlen pendelt. Ausfallerscheinungen machen sich auch nicht im restlichen Cast breit, denn alle Beteiligten spielen ihren Part zu jeder Zeit famos ab und tragen somit vehement zur gespielten Authenzität dieses Werks bei. Einer muss dennoch erwähnt werden, nämlich der Composer Siegfried Franz, welcher in seiner Amtszeit als musikalischer Filmvertoner für unzählige deutsche Kriminal-Soundtracks zuständig war und auch hier wieder knackige Genreklänge zum Besten geben durfte.


Auch wenn Rolf Olsens Kiez-Exkursionen wohl auf ewig einen Ausnahmestatus in meiner St. Pauli-Hitliste einnehmen werden, werde ich Jürgen Rolands Unterwelt- und Rotlichtmilieu-Sausen in Zukunft wieder etwas mehr Beachtung schenken, denn auch wenn "Die Engel von St. Pauli" nicht hundertprozentig bei mir zünden konnten, mal davon abgesehen das es alles andere als ein schlechter Film ist, so konnte mich der gebürtige Hamburger zumindest schon mal mit "Zinksärge für die Goldjungen", "4 Schlüssel" und "Polizeirevier Davidswache" absolut überzeugen und ich bin mir verdammt sicher, dass dieser Film irgendwann auch mal diesen Status in meiner Bestenliste einnehmen wird!

Veröffentlichungen

Der Film selber wurde jüngst von Subkultur-Entertainment in verschiedenen Versionen innerhalb ihrer Edition Deutsche Vita (kurz EDV) weltweit erstmalig für den Heimkino-Markt ausgewertet:

 

*Single BD im Amaray

*Single DVD im Amaray

*Combo BD/DVD-Digpack mit Schuber

*Exklusivcombo BD/DVD-Digipack mit Schuber + Begleitbuch (mit über 170 Fotos zum Film)

 

Bedauerlicherweise zögerte ich mit der Exklusivcombo zu lange und musste mich nach Ablauf der Bestellfrist (nur) mit der BD/DVD-Combo zufrieden geben, welche dafür nummeriert und stilecht in weiß neben die 4 bisher erschienenen EDV-Ausgaben passt. Somit lag mir die BD für dieses Review zur Verfügung (mangels BD-Laufwerk im Rechner sind die Screenshots aber nur in SD)..., aber wo fange ich hier am besten an?

Da Subkultur-Entertainment in den letzten Jahren zurecht in den Olymp der dt. Nischenlabels aufsteigen konnte, ist die Messlatte natürlich kräftigst gestiegen - aber nicht nur bezüglich der Erwartungshaltung auf Kundenseite, sondern auch das Label selbst übertrifft sich seitdem immer wieder mit Superlativen in Hinsicht auf Umsetzung, Aufbereitung und allerhöchster Zufriedenstellung von Fans und Kritikern. Hier verhält es sich nicht anders und es wurde erneut rangeklotzt wo es nur ging:

* Die Bildqualität der Blu-Ray ist fantastisch, ich bin zwar kein Pixel-Experte, aber so gut hat man selten einen alten Nischenkracher aus deutschen Landen zu Gesicht bekommen. Alles wirkt natürlich, keine grässlichen Filter die das Bild künstlich säubern oder entstellen, sondern Körnung satt bei durchschnittlicher Bild-Transfergeschwindigkeit von 35-40 Mbps (da können manche VÖ's aus dem kommerziellen Major-Sektor nicht mal mithalten) lassen das alte St. Pauli schöner denn je erstrahlen. Im informativen Booklet wird seitens LSP-Medien (die mal wieder eine vor-"bildliche" Meisterleistung abgeliefert haben) und Subkultur-Entertainment auf den schwierigen und aufwändigen Restaurationsprozess eingegangen, welches dem Leser und Zuschauer nochmal vor Augen hält, mit welcher Pionierarbeit für diesen doch eher kleinen (und zudem bisher noch nicht zum Kult avancierten) Genre-Flick voran gegangen wurde.

* Neben dem Material-Erläuterungen gibt es noch ein amüsantes St. Pauli Wörterlexikon, falls mal jemand mit dem im Film gefeaturten Milieu-Slang auftrumpfen möchte.

* Auch bei den Tonspuren wurde alles gegeben, womit dem Filmfan die Wahl zwischen dt. und engl. Sprachoption gewährt wird und extra noch der deutsche Kino-Lichtton mit verewigt wurde, welcher etwas dynamischer auf größeren Heimanlagen daherkommt. Neben den herkömmlichen deutschen und englischen Untertiteln, gibt es noch die dt. Auswahloption "Mundart".

* Der Audiokommentar ist ebenfalls wieder eine feine Sache geworden und somit spielen sich Pelle Felsch und Oliver Nöding (der hiermit seine AK-Entjungferung blendend hinter sich gebracht hat) auf amüsante Art und Weise die Bälle zu, fachsimpeln über damalige Kiezverhältnisse, trumpfen mit schmutz- und schmierbehafteten Analysen, sowie fachkundigem Geschick auf und lassen es keinen Augenblick zu, das man genervt die Tonspur wechseln möchte.

*Die Bonussektion ist auch proppevoll, so haben 3 verschiedene Interviews mit den beiden Hauptdarstellern + Regisseur, einer 16-minütigen Location-Tour an die Hamburger Drehorte (damals + heute), einem 3-minütigen Restaurationsvergleich, den Kinotrailer aus drei verschiedenen Ländern, ausländische Titelvorspänne, eine knapp 10-minütige Bildergalerie, sowie eine stimmige EDV-Trailershow (EDV #1-3 in SD und ab #4 + zukünftige Attraktionen in hochauflösenderer Qualität) Platz auf dem Blaustrahl gefunden. Außerdem soll sich wohl noch ein Hidden Feature auf der Silberscheibe versteckt haben.

Also jetzt mal ganz ehrlich, derzeitige Meckerei über gewisse Nischenvertriebs-Preispolitiken hin oder her, aber besser kann man seine hart verdienten Euronen als Filmfan doch gar nicht mehr investieren - da gibt es nur ganz wenige Label, die soviel für den hervorgerufenen Preis bieten und man kann hiermit zurecht behaupten, dass dieser Film in seinem Gesamtumfang nicht ansprechender und liebevoller für die Nachwelt hätte aufbereitet werden können!

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