Inzest

Großbritannien | USA, 1970

Originaltitel:

My Lover My Son

Alternativtitel:

Não Chore Meu Amor (BRA)

Mi hijo... Mi amante (COL)

Mi hijo, mi amor (ESP)

L'inceste (FRA)

Don't You Cry (GBR)

Hush a Bye (GBR)

Uccidi uccidi, ma con dolcezza (ITA)

Deutsche Erstaufführung:

13. November 1970

Regisseur:

John Newland

Kamera:

David Muir

Inhalt

Francesca Anderson (Romy Schneider) widmet ihre ganze Liebe und Aufmerksamkeit ihrem Sohn James (Dennis Waterman), da sie von ihrem Mann Robert (Donald Houston), der sich ständig auf Geschäftsreisen befindet und Affären hat, nicht mehr viel zu erwarten hat. Im Umgang mit ihrem Sohn fühlt sie sich frei, unbeschwert und ausgeglichen, bis dieser eines Tages die hübsche Julie (Patricia Brake) kennenlernt. Da die beiden von nun an viel Zeit miteinander verbringen und sich immer näher kommen, fühlt sich Francesca vernachlässigt und reagiert mit ungewöhnlicher Impulsivität auf die neue Situation, bis es schließlich zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen ihr und ihrem Mann kommt, in der Francesca den Bogen vollkommen überspannt und Robert bis aufs Blut reizt. Im blinder Wut versucht er seine Frau zu töten, doch James kommt ihr im letzten Moment zur Hilfe und erschlägt seinen Vater im Affekt. Bei der Gerichtsverhandlung wird er jedoch mit einer komplett anderen Anschuldigung konfrontiert, nämlich mit vorsätzlichem Mord...

Autor

Prisma

Review

Dieser Film von John Newland gehört leider zu den wesentlich unbekannteren Filmen mit Romy Schneider, möglicherweise auch, weil ihm ein eher einvernehmlicher Ruf im negativen Sinne vorauseilt. Es bleibt zu sagen, dass man sich hierbei unbedingt die Mühe machen sollte, die Inhalte selektiv zu betrachten, denn "Inzest" ist keineswegs ein Film, der seinen Titel mechanisch zu charakterisieren versucht. Falls man es also schafft, ein bisschen zwischen den Zeilen zu lesen, offenbart sich ein Film mit geheimnisvoller Spannung und intelligentem Aufbau, da sich die Regie einer eigenartigen Verschleierungstaktik bedient. Die Geschichte und deren Charaktere werden von der aufdringlichen Stärke einer Frau dominiert, die jedoch ihre Energie fatalerweise aus ihrer eigenen seelischen Zerrüttung schöpft und damit eine beeindruckende Umkehrreaktion hervorruft. Der Zuschauer ist dabei vollkommen sich selbst überlassen, obwohl die gezeigten Bilder augenscheinlich in eine bestimmte Richtung tendieren, aber schließlich nicht genug zu einer eindeutigen Wertung zwingen werden.

 

Genau diese Taktik führt letztlich dazu, dass der Film steht oder fällt, und zwar je nachdem welcher Nerv der Auffassungsgabe getroffen wird. Für zusätzliche Verwirrung sorgt hierbei die Einsilbigkeit an abgelieferten Erklärungen, deren Sparsamkeit das eigene Gedanken-Roulette zusätzlich anheizt. Selbst für den Fall, dass einen Newlands Beitrag völlig unbeeindruckt im Regen stehen lässt, bleibt wie so oft eine atemberaubende Romy Schneider zurück. In diesem Zusammenhang war 1971 in der "Saison Cinématografique" diese Einschätzung zu vernehmen: »Kein Wort, keine Geste, kein Blick erwachen hier zu einfachstem Leben. Damit ist alles gesagt! Von nichts kommt nichts. Es ist deshalb unnütz, sich Fragen zu stellen. Trotzdem muss man folgendes feststellen: nur Romy Schneider mit ihrem wunderbaren Gesicht ragt aus diesem unglaublichen Abschaum heraus«. Harte Worte, die allerdings im gleichen Atemzug - wie so oft - durch das Hervorheben der Aura von Romy Schneider entschärft wurden.

 

Romy Schneiders britisch produzierte Filme stellen weder ihre erfolgreichste, noch produktivste Phase dar und haben vergleichsweise vielleicht weniger Anreize, sie sich anzuschauen. "Inzest", dessen Titel alleine schon abschreckend genug wirken könnte, um ihn sich nicht anschauen zu wollen, offeriert jedoch eine von Romy Schneiders immer noch wenig bekannten Glanzleistungen, die denkwürdig und mitreißend zugleich wirkt. Das Thema des Films disqualifiziert sie von vorne herein als klassische Sympathieträgerin, sodass es aufgrund der Beschau von seelischen Abgründen und den damit verbundenen Reaktionen einer Frau zu zahlreichen mitleidigen Blicken kommt. Hin und wieder will dieser determinierte Eindruck sogar noch eindeutiger ausfallen, da man dazu geneigt ist, nahezu beschämt wegzuschauen. Die Regie behält sich in kluger Voraussicht die nötige Diskretion vor, der Film scheint sich daher häufiger in Windungen und Andeutungen zu verlieren, was die Brisanz zwar nicht aufhebt, sie jedoch merklich entschärft.

 

Allerdings sieht man immer wieder Romy Schneider als Aggressor, die ihre innere Leere und Unzufriedenheit auf andere überträgt, wo sie nur kann. Auch das, was sie Liebe nennt, wird den Männern ihres direkten Umfeldes aufgezwungen und scheint für ihre Begriffe ausschließlich mit Mechanik in Verbindung gebracht zu werden. Das alte Thema der Frau im goldenen Käfig wird durch die satte Ausstattung und das gehobene Umfeld unterstrichen, in dem es gesellschaftliche Pflichten en masse und kaum Ausweichmöglichkeiten gibt. Frances erlaubt sich allerdings immer mehr den Luxus des Ausbrechens aus diesen Strukturen, auch weil ihr Ehemann permanent geschäftlich unterwegs ist und daher keine Kontrolle mehr ausüben kann. Das ohnehin enge Verhältnis zu ihrem Sohn Jamie verfestigt sich, ihrer Ansicht nach kultiviert sie es sogar. Aber wie erwähnt bleibt das Thema Intimität deutlich im Schatten.

 

Um dem Albtraum namens Alltag entfliehen zu können, flüchtet sich Frances in Tagträume und Rollenspiele mit ihrem Sohn, doch ein unbekanntes Element im Film holt sie immer wieder ein. Von Rufen und Stimmen der Vergangenheit verfolgt und getrieben, kommt es immer wieder zu Absencen, die manchmal sogar ihren Geisteszustand infrage stellen. Ihrem Mann Robert demonstriert sie Verachtung und Impulsivität, sie weiß genau, wie sie ihn am effektivsten treffen kann, wahlweise mit nicht salonfähigem Verhalten und dem provokanten Ignorieren von gesellschaftlichen Konventionen. Sie kommt ins Gerede, weiß aber nur zu gut, dass es indirekt ihrem Mann schaden wird, wenn sie sich auf öffentlichen Empfängen betrinkt und sich ihrem Sohn an den Hals wirft. Das diplomatische Abwinken Roberts macht sie wiederum aggressiv; Grund genug zu schwereren Geschützen zu greifen, bis es schließlich zum Eklat kommt.

 

Als Fran versucht, ihn mit üblichen Vorhaltungen über seine Bildung und Wirkung bis aufs Blut zu reizen, aber ihr der anvisierte Erfolg ausbleibt, flüstert sie ihm etwas ins Ohr. Obwohl man nicht hört, um was es sich handelt, weiß man genau, was sie ihm perfiderweise berichtet hat. Robert rastet aus und will sie töten, was wohl einen der interessantesten Kniffe der Geschichte darstellt, zieht diese Brisanz den Zuseher doch wieder deutlich auf Romy Schneiders Seite, die man selten so giftig und zynisch gesehen hat. Im Allgemeinen ist dem Tenor zum Film zuzustimmen. Auch wenn es seinerzeit fast ausschließlich Verrisse gab und der Film eine geringe Wertschätzung erfährt, gehört der alleinige Triumph Romy Schneider, die mit Ausstrahlung, Verve und Spiellaune bedingungslos zu überzeugen weiß, auch wenn sie zur Entstehung einfach zu jung für diese Rolle war. Exemplarisch schön und teilweise in grellen, verwirrenden Farben zu sehen, bleibt eine Performance im Gedächtnis, die für Nachhaltigkeit sowie Präsenz steht.

 

In der Tat sind es hier manche Bilder und Dialoge die peinlich berühren, aber dem Produkt keinen Schaden zufügen. Knackpunkt dabei ist der luftleere Raum zwischen dem quasi praktischen und mutmaßlichen Nichts, oder hier sogenanntem Inzest, der jedoch durch die immer wieder, in beißenden Bildern einschießende psychologische Komponente weichgespült wird, und schließlich einen diffusen Charakter behält. Glücklicherweise muss man sagen, denn ansonsten hätte John Newlands Beitrag weniger Anteile von einem edel anmutenden und intelligent auftrumpfenden Thriller, als von der oben erwähnten Einschätzung im Sinne von reißerisch-unglaubwürdiger Fließbandarbeit. Auch die Partizipation von Romy Schneider spielt hier eine entscheidende Rolle, die ohne jeden Zweifel alles hätte spielen können, aber eben nicht alles gespielt hat. Dem Vernehmen nach interessierte sie sich sehr für derartige Einsätze, Rollen nämlich, die sich deutlich von einheitlichen und nichtssagenden abheben konnten. Vollkommen explizite Szenen spart sich der Verlauf zugunsten der Nachhaltigkeit und einer gefühlt höheren Glaubwürdigkeit innerhalb dieser eher halluzinatorisch-verzerrten Atmosphäre glücklicherweise auf,.

 

Aufgrund der sich wenig vom Alter her unterscheidenden Protagonisten (Romy Schneider und Dennis Waterman trennten zur Entstehungszeit nur etwa genau zehn Jahre) und des überwiegend manisch angehauchten und emotional motivierten Verlaufs, entsteht nicht das, was die verschiedenen Titel der Produktion zu suggerieren versuchen. Es kommt nicht zur vermuteten Perversion und es entsteht keine besonders große Abwehrhaltung des Zuschauers in Richtung der geschilderten Tatsachen, die ohnehin wie Seifenblasen zerplatzen werden. Daher ist zu betonen, dass »unglaublicher Abschaum« gewiss andere Strategien verfolgen und anders aussehen würde. Mit einer anderen Besetzung für die Rolle des James hätte dies alles bestimmt schon wieder ganz anders ausgesehen. Ein Gedankenspiel hierbei wäre beispielsweise John Moulder-Brown wert gewesen, der alleine aufgrund seiner gehemmten Art zu spielen, seiner oft grenzwertigen Charaktere, und des damit verbundenen Eindruckes auf den Zuschauer für heftige Brisanz beim Inzest-Motiv hätte sorgen können.



Dieses Gedankenspiel sei nur aufgeführt um aufzuführen, dass bei diesem Film offensichtlich alles gut durchdacht war und dass die geäußerte Kritik bei der Alters-Frage der Hauptdarsteller auf den ersten Blick zwar berechtigt ist, sich aber bei dem beinahe hinterhältig aufbäumendem Verlauf, bezüglich diverser Untertöne und der Umsetzung, insgesamt ohne Belang ist. Die lohnendere Aufgabe bleibt es also, sich diesem bemerkenswerten Film mit seiner herrlichen Bildgestaltung zu widmen, der leider völlig zu Unrecht unter Verschluss gehalten wird. Handelt es sich also um einen Film, der hierzulande nicht zum isolierten, oder darf man ketzerisch sagen, gut präparierten Profil einer Romy Schneider passt? Vermutlich ist das so, wobei gerade diese provokanten Experimente die wahre Exzessivität und Leidenschaft der Schauspielerin offenlegen. Die Filme ihrer englischen Phase werden im Allgemeinen nicht als besonders gut eingestuft, ergo, auch nicht als sehenswert, wobei es die Frage bleibt, welches Schaffen man als Referenz nimmt. "Inzest" präsentiert sich im Rahmen seiner handwerklichen Umsetzung typisch britisch und transportiert eine überaus klassische Atmosphäre. Zu erwähnen sind hier die schönen Aufnahmen des Landsitzes der Andersons und die aus London, insbesondere zu späterer Stunde.

 

Satte Ausstattungen, pompöse Inneneinrichtungen, schmeichelnde Ensembles und typische Sets tragen zu dem besonderen Flair bei. Auch die Dialog-Arbeit setzt mitunter erfreulich scharfzüngige Akzente. Im Grunde genommen kommt die Geschichte recht langsam in Fahrt, bis aber Romy Schneider die vorgefertigte Möglichkeit optimal nutzt, für einen Vulkanausbruch zu sorgen, sowohl in Wort, als auch in Tat. Überragend ist die musikalische Untermalung die sich tagelang im Kopf festsetzen wird. Die Musik von Norrie Paramor und Mike Vickers ist einfach wunderbar, insbesondere die des Titelvorspanns, die übrigens jedem Giallo gut gestanden hätte, auch das immer wieder auftretende und mit tieferem Sinn getränkte Stück 'What's on your mind' bleibt angenehm im Ohr. "Inzest" funktioniert letztlich sowohl als Psycho-Thriller, als auch als Komplex-Drama recht gut, vor allem die Übergänge und der permanente Wechsel von unterschiedlichen Genre-Zutaten sorgen selbst in Phasen, in denen sich der Verlauf trügerisch ruhig und diskret gibt,  für die willkommene Abwechslung. Das psychologische Motiv erfährt keine lückenlose Erklärung, da Romy Schneiders Selbstinszenierung genügend Fragen beantworten kann. Ein besonderer Film, der immer wieder sehr gerne gesehen ist, da er das Potential hat, auf ganz besonders eigenwillige Art und Weise zu beschäftigen.

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Prisma

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