Sinfonía erótica

Portugal | Spanien, 1980

Originaltitel:

Sinfonía erótica

Alternativtitel:

Symphonie érotique (FRA)

Regisseur:

Jesús Franco

Kamera:

Lyoner Efe

Drehbuch:

Jesús Franco

Inhalt

Martine de Bressac (Lina Romay) kehrt nach Monaten aus der Obhut ihres Arztes Louys (Albino Graziani) zum Landsitz ihres Ehemanns zurück. Der Marquis Armando de Bressac (Armando Borges) lebt dort inzwischen mit seinem Liebhaber Flor (Mel Rodrigo) in ausschweifender Zweisamkeit. Am selben Tag finden die zwei Männer auf einem Weg in ihrem Garten die bewusstlose Novizin Norma (Susan Hemingway), die aus dem in der Nähe gelegenen Kloster geflohen ist. Nachdem sie die junge Frau missbraucht haben, machen sie sie zum Werkzeug ihres teuflischen Plans Martine de Bressac zu ermorden.

Review

Sinfonia Erotica ist lose an eine Episode aus Marquis de Sades Roman „Justine oder das Missgeschick der Tugend“ angelehnt, verändert die Inhalte aber weitgehend, bis Jesús Francos de sade’sches Drehbuch schließlich die Oberhand gewinnt. Ignorieren wir also mal die literarische Vorlage und wenden uns gleich dem Gedanken zu, wie wohl ein Visconti-Film ausgesehen hätte, wenn Visconti es mal mit einem Budget von 2 Mark Fünfzig zu tun gehabt hätte. Denn dann wäre dabei womöglich ein wackelig gefilmtes aber zutiefst ergreifendes Erotik-Drama über den Zerfall einer Adelsfamilie und Intrigen um Wahnsinn und Mord dabei herausgekommen, so wie dieses hier.

 

Die Geschichte – oder besser gesagt deren Hintergründe – werden uns zu Anfang im Schnelldurchlauf und weitgehend durch Monologe oder gar Stimmen aus der Vergangenheit vermittelt. Die Ausgangssituation ist die, dass die Familie des Marquis de Bressac schon seit Generationen (!) an der Syphilis leidet, und da die Syphilis nicht vererbbar ist, tun sich hier bereits unausgesprochene Abgründe auf. Martine de Bressac – gespielt von Lina Romay als „Candice Coster“ – hat sich von ihrem Ehemann infiziert und zeigt bereits geistige Verfallserscheinungen, die sie in die Klinik und Obhut des Arztes Louys gebracht haben. Das Adelsgeschlecht der de Bressacs ist zudem verarmt, das gemeinsame Vermögen kommt also von der angeheirateten Martine. Die Monate in der Klinik hat der Marquis genutzt, um seinen männlichen Liebhaber Flor ins Haus zu holen. Der Film beginnt mit Martines Rückkehr, und wir Zuschauer begreifen schnell, dass sie wohl schwerlich willkommen sein wird.

 

Jesús Franco nutzt diese perfide Ausgangssituation, um uns eine Soap von so düsterem Ausmaß zu erzählen, dass es kaum fassbar scheint. Die Bewohner des Hauses de Bressac sind – nennen wir es beim Namen – zum Tod durch die Früchte ihrer Begierden verurteilt und zu vorherigem schleichendem Wahnsinn. Bei Martine ist Letzterer bereits in einer fruchtbaren Phase, und so ist sie für den Marquis ein wandelndes Mahnmal seines eigenen künftigen Schicksals. Hinzu kommt, dass der Marquis zwar bisexuelle Neigungen hat aber nur wenig sexuelles Interesse an seiner Frau. Vermutlich ist es ihre Begierde ihm gegenüber, die ihn abstößt, so dass er sie lieber darben lässt, anstatt sie zu befriedigen. Auch Martine hat bisexuelle Neigungen, für die sie von ihrem Mann aber gedemütigt und verspottet wird.

 

Franco gelingt es, diesem Szenario eine ganz besondere Atmosphäre zu verleihen, mit ein paar im Grunde ganz einfachen Kameratricks, die…nun, von Profis wohl naserümpfend abgelehnt würden. Die Welt außerhalb des Landsitzes ist bunt, landschaftlich schön und lebenswert. Innerhalb des Hauses herrscht dagegen eine spürbare Stimmung von Einsamkeit und Verfall vor, die Protagonisten wandeln wie lebende Tote durch leere, hallende Räume, umgeben von allerlei Richtreflexen und Verzerrungen, die mit Franco-typischem Gezoome zusammenhängen (in Sinfonia Erotica allerdings von Juan Soler ausgeführt), das selten so effektiv eingesetzt wird wie hier. Ein weiterer Trick ist das Zoomen von den Darstellern hinaus zum Fenster. Durch das Filmen von Landschaften durch diese Fenster hinaus bei Innenbeleuchtung entsteht ein surrealer verschwommener Eindruck der Welt Draußen. Sie wirkt unerreichbar. Wird wiederum der Landsitz von außen gezeigt, also aus der Sicht von möglichen Passanten oder eben des Zuschauers, erscheint dieser farbenfroh und luxuriös, eine pompöse Adels-Welt, die man beneiden möchte – solange man nicht weiß, was im Innern vor sich geht.

 

Auch musikalisch bekommt man in Sinfonia Erotica Besonderes geboten, da vermischt Franco Franz Lizst (deshalb auch der Visconti-Vergleich zu Anfang, neben dem Thema Adelsverfall und entsprechenden Kostümen) mit Eigenkompositionen, die er mit Daniel White aufgenommen hat. Die „schöne Welt“ Draußen wird untermalt mit klassischen bis wuchtigen Themen, im Innern Dissonanzen, die mit steigernder Gewalttätigkeit immer abgründiger werden. Zur Erotik. Wir bekommen keinen physischen Sadismus im eigentlichen Sinne. Vielmehr „leiden“ die Protagonisten an mal erfüllter, mal unerfüllter Begierde. Die beiden Männer – de Bressac und Flor – ergötzen sich am eher psychischen Leid der Frauen und ihre sexuellen Begegnungen mit diesen Frauen sind eher überfallartige Verhöhnungen derer Leidenschaften. Nicht, dass Martine anders wäre. Sie BETET zu Gott um männliche Säfte, die ihre Trockenheit stillen, und als dies nicht geschieht, dringt sie ebenfalls überfallartig auf den Hausgast Norma ein. Und was ist mit eben jener Norma? Nachdem der Marquis und Flor sie mit ihrer Nonnentracht und scheinbar geschändet im Garten finden, schänden sie sie ebenfalls und stellen sie vor die Wahl: entweder bei ihnen zu bleiben oder zurück zu ihren Peinigern im Kloster geschickt zu werden. Norma trifft eine Entscheidung, sie ist bereit, sich von diesen Männern benutzen zu lassen, und als diese sie vor der in geistiger Umnachtung und unerfüllter Ekstase brünstigen Martine retten und diese vor ihren Augen demütigen, ist sie künftig zu allem bereit, selbst dazu, Teil zu werden des Mordkomplotts an Martine. Liebe wiederum muss zerstört werden und so endet Normas spätere Liebschaft zu Flor in einem Akt der Gewalt, der tatsächlich an Mario Bava angelehnt scheint. Das Paar wird während des Liebesakts in gemeinsamer Umarmung durchbohrt.

 

Sinfonia Erotica ist eine spanisch-portugiesische Co-Produktion, vertreten durch die Firmen Triton Films (Spanien) und Estudio 8 (Portugal). Letztere ist ein wenig zweifelhaft, da diese eher Ende der Sechziger Jahre tätig war und die Eigentümerschaft zur Drehzeit von Sinfonia Erotica völlig ungeklärt, bzw. nicht mehr eindeutig nachweisbar ist. Gedreht wurde in zwei Villen des Ortes Sintra nahe Lissabon, eine davon seit den 50er Jahren eigentlich ein Hotel. Selbst die Kutsche, die zu Anfang des Films gezeigt wird, kann heute noch von Touristen genutzt werden, um sich zu ebendiesem Hotel bringen zu lassen. Am gleichen Set drehte Franco auch zusätzliche Szenen für die französische Fassung von „Two Female Spies with Flowered Panties.“ Die Angabe auf OFDb dagegen, Sinfonia Erotica sei eine französische Co-Produktion, ist falsch.

 

„Sinfonía erótica“ ist ein MUSS für Franco-Fans, denn er ist einer von Francos Höhepunkten auf dem Gebiet des nihilistisch-depressiven Erotik-Dramas.

Veröffentlichungen

Nach einer spanischen DVD von Manga Films erschien „Sinfonía erótica“ nun in den USA auf Blu-ray von Severin Films. Die Bildqualität der 4k-Abtastung ist entsprechend der sehr speziellen Kameratechnik des Films gut ansehbar. Der spanische Ton mit wahlweisen englischen Untertiteln ist der DVD dagegen unterlegen. Die für den Gesamtgenuss überaus essentielle Musik ist im Verhältnis zu den Dialogen einfach zu leise geraten.

 

Im Bonusmaterial befindet sich ein Interview mit Stephen Thrower, dass inhaltlich de sade’sche Themen bei Franco und die Kameraführung bei „Sinfonía erótica“ behandelt. Ein weiteres Interview – bzw. der Auszug eines Interviews mit Regisseur Franco von 2013 – soll Auskunft über die Frauen in Francos Leben geben, er erzählt hauptsächlich von Nicole Guettard, aber ebenso von Soledad Miranda und schließlich Lina Romay.

 

Für Nicht-Franco-Kenner dürfte dieser Interview-Auszug allerdings sehr verwirrend sein, denn Franco erzählt von Ehe, Krankheit und Tod Guettards als handele es sich um Ereignisse, die sich in einem Zeitraum von nur wenigen Jahren abgespielt hätten – zudem noch vor Soledad Miranda - und würfelt auch sonst zeitlich auch alles durcheinander. Tatsächlich starb Nicole Guettard erst 1996, die Scheidung fand etwa ein Jahr vor dem Dreh von „Sinfonía erótica“ (also ca. 1977/78) statt, und nach seiner Trennung von ihr war er nicht „Jahre allein“ sondern hatte bereits was mit Lina laufen. Oh, jetzt habe ich es selbst gemacht und alles rückwärts beschrieben…

 

Obige Screenshots sind leider nur von der DVD.

Links

OFDb
IMDb

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