Nevro (FRA)
Émotions secrètes d'un jeune homme de bonne famille (FRA)
Sex Without Love (GBR)
Benoit (Francis Lemonnier) ist der Sohn eines bekannten Pharmafabrikanten und hat einige Probleme. Er ist paranoid, impotent, wurde von seiner Stiefmutter verführt und hat keine Lust zu arbeiten. Als sein Vater ihm den Geldhahn zudreht, nicht zum ersten Mal, hat Benoit bereits Pläne, um dies zu beheben: Einbruch und Erpressung. Hierfür freundet er sich mit dem jungen Jean-Pierre (Patrick Penn) an, den er als Handlanger nutzen will. Mit Isabelle (Anne Libert) ist das Trio schließlich komplett und neben seinen Plänen zur Geldbeschaffung erfüllt das junge Paar gleichzeitig seine voyeuristischen Interessen. Doch Benoits Hass auf seinen Vater und – wenn auch nur latent – seine Stiefmutter führt zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen, und allmählich bekommen es Jean-Pierre und Isabelle mit der Angst zu tun.
„Les Charnelles“ war der erste Film, bei dem Claude Mulot das Pseudonym Frédéric Lansac nutze, welches an seinen Hauptprotagonisten aus „Das blutige Schloss der lebenden Leichen“ (La rose écorchée, 1970) angelehnt ist. Da Frédéric Lansac Claude Mulots Porno-Pseudonym ist, schreibe ich diese Einleitung, um Missverständnissen oder falschen Erwartungen vorzubeugen. Denn auch wenn „Les Charnelles“ für Francis Mischkind (Produziert für T.C. Films, distributed für Alpha France) produziert wurde, eine X-Zertifizierung erhielt und somit nur in Pornokinos gezeigt werden durfte, ist es kein Hardcore-Film. Dafür ist er richtig böse.
Freilich kommen erotische Szenen nicht zu kurz, doch im Mittelpunkt steht Mulots Vorliebe für das Entlarven dysfunktionaler Familienstrukturen und einen voyeuristisch veranlagten und keineswegs sympathischen Hauptprotagonisten. „Les Charnelles“ ist Provokation pur, und den Zuschauer erwarten ein paar derbe Schläge ins Gesicht.
Am Anfang führt uns die Kamera zu einem Tisch, an dem ein paar junge Studentinnen sitzen. Sie haben einen Wettbewerb laufen, wer mit den meisten Männern schläft, als Beweisstücke dienen abgerissene Hosenknöpfe derselben. Während sie diese vorzeigen, beobachten sie die Männer, die an ihnen vorbeischlendern, genauer gesagt, sie richten ihre Blicke starr auf deren Schritt. Und so kommt Benoit ins Spiel. Er kommt in einem sichtlich teuren Cabrio vorgefahren, und eine der Studentinnen baggert ihn sehr direkt an, was zu einer Spritztour in den Wald führt. Doch das Spritzen bleibt aus, denn Benoit ist impotent.
Seine Geldsorgen treiben ihn zu seiner Stiefmutter, und wir erfahren, dass die Zwei sich mal sehr nahe standen, zumindest solange Benoit noch in deren Beuteschema passte: minderjährig. Nun ist er zu alt, und so muss er seinen Vater um Geld bitten. Doch der empfängt ihn nicht einmal, der Geldhahn ist zu. Nicht zum ersten Mal will Benoit irgendeinen Jugendlichen dazu bringen, in die Firma seines Vaters einzubrechen. So kommt es ihm gerade recht als er den jungen Jean-Pierre dabei ertappt, wie dieser versucht, sein Auto zu knacken. Der Pakt ist schon so gut wie geschmiedet.
Doch zunächst kommt noch Isabelle ins Spiel. Ihr betrunkener Stiefvater versucht diese zu vergewaltigen, erst im Haus, dann draußen am Straßenrand. Benoit und Jean-Pierre werden Zeuge und helfen der jungen Frau. Nun sind sie zu dritt, und bei einer Party mit psychodelischen Pilzen in Benoits Haus kommt auch der auf seine voyeuristischen Kosten, während das Paar es miteinander treibt. Es folgt der versuchte Einbruch in die Firma von Benoits Vater, doch Jean-Pierre wird erwischt. Benoit erpresst daraufhin seinen Vater, Einzelheiten bitte selbst dem Film entnehmen, sonst wird es zu kompliziert.
Nach Jean-Pierres Freilassung beichtet Isabelle ihren beiden Begleitern, dass der Mann, der sie vergewaltigen wollte, kein Fremder war, sondern ihr Stiefvater. Sie fahren zu ihr nach Haus, mit dem Vorwand, sie könne dort ihre Sache holen. Dort fangen sie an, auf Isabelles Vater einzuprügeln, Jean-Pierre, weil er in sie verliebt ist, Benoit, weil er seinen eigenen Vater hasst aber zu feige ist, wirklich gegen ihn aufzubegehren. Auch wenn Isabelle findet, dass ihr Stiefvater die Abreibung verdient hat, bittet sie die Beiden aufzuhören, bevor Schlimmeres passiert. Doch Benoit rastet völlig aus und prügelt mit einem Holzschemel auf den Kopf des Mistkerls ein, bis er nur noch Splitter übrig sind.
Damit beginnt endgültig die Abwärtsspirale, die sich mit weiterer Erpressung, Mord und Vergewaltigung fortsetzt. Doch wie immer breche ich ab, um nicht den ganzen Film zu spoilern, war jetzt schon zu viel. „Les Charnelles“ ist ein düsterer und gewalttätiger Film, der mit psychodelisch angehauchten Erotikszenen versetzt wurde, untermalt von fetziger Musik von Eddie Vartan. Diesbezüglich bereue ich es nach der Erstsichtung dieses Films, mir doch nicht die französische Veröffentlichung von Le Chat qui Fume zugelegt zu haben, die über eine isolierte Musikspur verfügt. Abgeschreckt haben mich von diesem Kauf aber die fehlenden Untertitel für das übrige ausschließlich französischsprachige Bonusmaterial.
Mondo Macabro hat dagegen englisch untertiteltes Bonusmaterial mit Interviews mit Anne Libert, Gerard Kikoine (Dubbing-Director), Distributor Francis Mischkind und Regieassistent Didier Philippe-Girard. Der Hauptfilm liegt mit einer Lauflänge von 87 Minuten in englischer Sprache oder in Französisch mit englischen Untertiteln vor.
„Les Charnelles“ spiegelt in seiner Endfassung nicht ganz das Drehbuch von Claude Mulot wieder, mal aus Kostengründen, mal aus ästhetischen Gründen. In der Eröffnungsszene mit der Dame im Wald taucht in den Trailern noch eine Brünette auf, wo in der Endfassung eine Blondine zu sehen ist. Der Grund, warum man eine der Szenen wohl verwarf, scheint bei Vergleich der beiden Damen miteinander auf der Hand zu liegen. No 2 fand wohl einfach mehr Gefallen bei der Regie. Ein Happy End für den Bösewicht wurde fallen gelassen und machte einem moralischeren Ende mit Tatü-Tata Platz, gebracht hat das nichts, ein X-Rating war trotzdem fällig. Wie genau es zu dieser unsinnigen Einstufung als Pornofilm kam, erklärt Francis Mischkind im Bonusmaterial.
Interessant ist auch das Interview mit Anne Libert. Sie erzählt vom Beginn ihrer Karriere mit Roger Vadim, ihrer Arbeit mit Jess Franco, Claude Mulot, Jean-Francois Davy und Claude Lelouch. Und wie sie so am Erzählen ist, bekam ich plötzlich eine verdammt gute Vorstellung davon, wie Jess Franco es geschafft hat, Darsteller nicht wissen zu lassen für welchen Film sie gerade welche Szene drehen und in wie vielen Filmen sie am Ende zu sehen sein werden, obwohl sie nur für einen oder zwei bezahlt wurden. Ist ganz lustig, und natürlich ist sie nicht ganz unschuldig daran. Außerdem outet sie Howard Vernon.
„Les Charnelles“ ist in jedem Fall sehr sehenswert, sowohl für seine professionelle Inszenierung wie auch für seine provokanten Inhalte. Claude Mulot war ein außergewöhnlicher Regisseur mit einer ganz eigenen Linie, welche sich sogar in seinen Pornofilmen gelegentlich widerspiegelt. Seine letzte Regiearbeit war der 1986 gedrehte Thriller „Le couteau sous la gorge“ mit Brigitte Lahaie und Florence Guérin. Er ertrank 1987, während er als Regieassistent bei Max Pécas Komödie „On se calme et on boit frais à Saint-Tropez“ tätig war.