Wenn Euch in Nürnberg erneut die Kugeln um die Ohren fliegen, Fäuste sonnengegerbte Fressen polieren und rasiermesserscharfe Klingen durch die Gegend geworfen werden, befindet Ihr Euch entweder noch am Nürnberger Hauptbahnhof oder sitzt bereits gemütlich auf Eurem Stammplatz des Kommkinos und nehmt am (theoretisch) jährlich stattfindenden Italowestern-Festival teil. Glücklicherweise entschied ich mich für letztere Option und hatte erneut ein wunderschönes Aprilwochenende im gemütlichsten Kinosaal Deutschlands ;) Erneut durfte ich mich mit den waghalsigen Companeros der Magie des Analogkinos hingeben und eine Auswahl handverlesener Italowestern genießen. Auch dieses Mal war das gesamte Spektrum den Genres abgedeckt: vom hingerotzen Billigstreifen bis High-Budget-Produktion, vom plumpen Rachefilm bis zum politisch vielschichtigen Zapata-Western, vom bitterernsten Drama bis zur flapsigen Komödie. Alles, was der italienische Western hergibt, war vertreten. Und bis auf eine Ausnahme waren auch alle Filme wieder schwer unterhaltsam.
Den Startschuss gab dieses Mal Enzo G. Castellari, der 1967 LEG IHN UM, DJANGO inszenierte. Einen vom Grundplot an Leones ZWEI GLORREICHE HALUNKEN angelehnten Film mit sehr lockerem Ton. Schon die Einleitungssequenz macht klar, wohin die Reise geht. Hier reiten 3 Männer in eine Stadt, in der unser Titelheld, gespielt von George Hilton, bereits auf sie wartet, um ihr Kopfgeld abzukassieren. Der Gag an der Szene: zwei von den drei Typen sehen genauso aus wie Clint Eastwood und Lee Van Cleef aus den Dollarfilmen. Der dritte ist ebenfalls eine offensichtliche Anspielung auf Franco Neros Django. Und alle drei werden vom Hauptakteur spielend leicht weggeballert. Filmisch sicherlich kein Überflieger und auch nicht Castellaris bester, aber immerhin ein sympathischer und kompetent inszenierter Western, der durchaus aber auch sehr ins alberne abdriften kann. Die gezeigte Fassung war eine Wiederaufführungskopie unter dem Titel GLORY, GLORY HALLELUJA und entsprach quasi einem Zusammenschnitt aus der deutschen Technicolor EA-Kopie mit dem oben genannten Titel und einigen Inserts, die den Fokus auf den komödiantischen Charakter von Hilton legen sollte, denn dieser war ja 1972 zweimal unter Giuliano Carnimeos Regie als Halleluja in den deutschen Lichtspielhäusern anzutreffen, warum dann nicht noch ein drittes Mal -wenn auch inoffiziell- mit dem Namen Kasse machen, denn in diesen rotstichigen Filmschnippseln heißt Hiltons Figur dann nicht mehr Django, sondern eben Halleluja.
Der zweite Film des Abends war sicherlich etwas unglücklich programmiert, da er aufgrund seiner sehr billigen Machart und der überaus dünnen Story um Mitternacht eher zum Dösen einlädt, statt zum Mitfiebern. EIN FRESSEN FÜR DJANGO ist einer der wenigen Vertreter, die auch im Originaltitel den Namen Django verwerten. Allerdings hat er sonst keinerlei Bezug zu Corbuccis Geniestreich und kann auch in keinerlei Hinsicht auch nur ansatzweise mit ihm mithalten. Der Film ist nicht mehr, als ein grundsolider Actionwestern mit einer sehr klassischen Rachegeschichte und einer ganz kleinen Prise Revolutionswestern. Für mich die dritte Sichtung des Films und die zweite in diesem Jahr. Ich denke, das reicht dann auch für dieses Leben, denn ohne mein Fanboytum für Anthony Steffen würde mir auch der Film ein gutes Stück weniger munden, als er es letztlich tat.
KEIN REQUIEM FÜR SAN BASTARDO, aufgeführt unter dem Alternativtitel EINE STADT NIMMT RACHE, gilt als umstrittener Teilnehmer des Festivals. Zum einen scheiden sich die Geister, ob es sich denn wirklich um einen reinrassigen Italowestern handelt, da die Regie von Briten übernommen wurde und auch einige Kleinigkeiten, wie bspw. die Schussgeräusche der Waffen, nicht zu hundert Prozent der Genrenorm entsprechen. Für mich war der Film allerdings noch im Rahmen, als vollwertiger Festivalbeitrag durchzugehen. Was andere Leute und auch mich hingegen eher störte, war die Machart. Der Film ist gemächlich, erzählt seine Geschichte etwas konfus und wirkte auf mich etwas bruchstückhaft und leer. Vielleicht lag es an eventuellen, widrigen Produktionsumständen, zu denen ich jedoch nicht viel herausgefunden hatte. Ich weiß nur, dass hier zwei Regisseure am Werk waren und dass für Telly Savallas nicht genug Geld da war, sodass er nach recht kurzer Zeit den Löffel abgeben durfte. Ich wusste mit dem Film nicht viel anzufangen und war eher enttäuscht. Die Mehrheit der anderen Festivalteilnehmer fand den Film hingegen sehr gut.
Film Nummer vier war der Samstagnachmittagsbeitrag mit dem schmissigen Titel AUF DIE KNIE, DJANGO, UND LECK MIR DIE STIEFEL!. Das Plakat macht schon klar, was uns zu erwarten hat: DJANGO – fordert mit der Faust! DJANGO – lyncht mit dem Lasso! DJANGO- kassiert mit dem Colt! Ein Film, so nihilistisch und düster, dass er vom Verleih für die deutsche Version ein versöhnliches Ende spendiert bekam. Spoiler: Django überlebt in der Version und reitet nochmal zu einer Mine, die wir aus der Mitte des Filmes kennen. Warum? Keine Ahnung. Eine bessere Reitszene, die man hätte recyceln können, gab es wohl nicht. Den Sinn des Filmes etwas entstellend, lernen wir durch dieses Ende immerhin eine wichtige Sache: Rache lohnt sich wohl doch! Leider hatte der Film hier und da kleine Längen und war in dieser Kopie zudem rotstichig.
Giulio Petroni ist zweifelsfrei einer der besten Regisseure des Italowestern und braucht sich auch nicht hinter den drei großen Sergios verstecken. Auch er wusste die Königsdisziplin, den Revolutionswestern, mühelos zu meistern und trug einen der stärksten Vertreter zu dem Sub-Subgenre bei: TEPEPA aus dem Jahre 1968. Ein aufwändig produzierter Western und wie die meisten Beiträge rund um die Mexikanische Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts zutiefst politisch. Erlesen, nahezu poetisch inszeniert und mein Lieblingsfilm aus dem Programmkader vom diesjährigen Festival. Damals als Teenager noch gelangweilt, heute mitgerissen. So kann sich die Sicht auf die Dinge ändern. Zugegeben: der Film ist für das Genre ungewöhnlich anspruchsvoll und lang, aber sehr unterhaltsam und schön. Leider hatte es der Film international nie einfach. Aufgrund seiner vergleichsweise immensen Laufzeit von 136 Minuten wurde in vielen Ländern die Schere angesetzt, so auch in Deutschland. Bedauerlicherweise verliert der Film dadurch etwas an seiner politischen Brisanz und Relevanz. Es gibt sogar eine deutsche VHS-Fassung, die auf gut 86 Minuten herunter geschnippelt und mit dem reißerischen Titel DER ELIMINATOR vertrieben wurde. Schrecklich. Glücklicherweise hielten sich die Schnitte in der Kinofassung hierzulande in Grenzen, sodass der Genuss nicht sonderlich drunter litt. Dennoch bevorzuge ich den Film in ganzer Länge.
Abschluss des Samstags und wohl die Überraschung des Festivals war SING MIT DAS LIED DER RACHE. Ein Billigwestern von Mario Bianchi, der für mich kein guter Regisseur ist. Beim ersten Mal als englischer Stream vor etwa 5 Jahren langweilte ich mich zu Tode und hatte die Sorge, dass der Film ähnlich bleiern wie der Freitag-Mitternachtsfilm werden wird. Weit gefehlt! Der Film würde heute am ehesten in die Schublade T wie Trash gesteckt werden. Man merkt, dass es ein Beitrag der 70er ist, als das Genre im Sterben lag. Bianchis Beitrag ist ungewohnt ruppig und brutal, wartet mit einer sehr fremdartig anmutenden und unerwartet freizügigen Erotikszene auf. Der Soundtrack ist sehr jazzy und wird sicherlich von niemanden mit Western in Verbindung gebracht werden, ist aber schmissig und hatte inmitten der Nacht eine angenehm einlullende Wirkung auf die Zuschauer. Konterkariert wird das wiederum durch billige Sets, hölzerne Akteure, Kostüme aus dem Faschingsladen, unpassendem Styling und viel zu langen Kameraeinstellungen. Was so manchen wortwörtlich zum Einschlafen brachte, war für mich und einige andere eine prächtig unterhaltende, wenn auch unfreiwillige Komödie. Filmisch eher eine 4 von 10, aber an diesem Abend wunderbar unterhaltsam und belebend. Schade nur, dass der Film zu Hause nie wieder diese Wirkung haben wird. Eine Erinnerung, die wir uns daher sehr gut festhalten sollten!
Natürlich muss es bei jedem Festival auch zu dem Moment kommen, in dem man eine Gurke ertragen muss. Das war am Sonntagmittag der Fall, als wir uns durch die infantile Westernkomödie BRATPFANNE KALIBER 38 durchquälen mussten. Das Humor-Niveau war recht niedrig: furzende Pferde, dümmliche Banditen und homosexuelle Comanchen, deren Haare natürlich auch im Film nur Perücken waren. Zwar schafften es hier einige Zuschauer, herzlich zu lachen, aber meins war es absolut nicht. Passend dazu war das Filmmaterial auch schon etwas rot angebräunt. Ich war auf jeden Fall froh, als der Blödsinn dann sein Ende fand.
1965 ist ein recht spannendes Jahr für das Genre. Nachdem Leone quasi den Italowestern stilistisch so prägte, wie wir ihn heute kennen und ab 1966 bis 1968/69 seinen Höhepunkt erreichte, befand er sich 1965 in einer Art Findungsphase, in der die später üblichen Italowestern-Elemente noch mit dem Versuch, klassische US-Western zu imitieren, verbunden wurden. Dieser Mix aus amerikanischem und europäischem Western hat ein ganz besonderes Flair, was ich irgendwie gerne mag. ADIOS GRINGO ist einer jener Vertreter. Einigen schmeckt diese altbackene Machart nicht allzu sehr, aber ich hatte meinen Spaß, zumal hier durchaus noch moralische Fragen gestellt und zumindest oberflächlich psychologische Aspekte beleuchtet werden, die in späteren Filmen dann eher seltener eine Rolle spielten. Spannend an der deutschen Kinokopie war, dass der Titelsong eingedeutscht wurde, was man sonst eher von einigen früheren John-Wayne-Filmen kennt. Damit war diese Fassung auch ein Unikat. Zudem mochte ich den Song in der Version auch ganz gern.
Wie so oft im Leben müssen alle schönen Dinge irgendwann mal enden. Das Schlusslicht und für viele das Highlight das Festivals war der Revolutions- und Heist-Western DIE FÜNF GEFÜRCHTETEN, der in der Wiederaufführungsfassung DIE FÜNF GEFÜRCHTETEN UND EIN HALLELUJA lief. Die farblich sehr schöne Technicolor-Kopie war in gutem Zustand, was den Genuss dieses äußerst hochwertig inszenierten Capermovie nur noch verstärkte. Der großartige Soundtrack von Morricone lud regelmäßig zum Mitwippen ein. Auch dieser Film gewann durch die Kinoexperience nochmal deutlich zu vorherigen Sichtungen dazu. Ein Evergreen, das man immer wieder schauen kann.
Es war ein -wie immer- sehr schönes Festival. Wieder gab es sehr belebende und aufschlussreiche Gespräche, sympathische Leute, tolles Essen, großartige Filme und vier sensationelle Trailershows mit historischen Kinovorschauen passend zum jeweiligen Film. Ich freue mich schon auf die sechste Ausgabe und die anderen Genre-Festivals, die noch folgen werden. Es war mir eine Freude, wieder Teil der Gang zu sein. Wir stehen uns nächstes Jahr garantiert wieder im Sonnenuntergang gegenüber!
Lucas Zimmermann