Die Macht und ihr Preis

Frankreich | Italien, 1976

Originaltitel:

Cadaveri eccellenti

Alternativtitel:

Illustrious Corpses (Int.)

Excelentísimos cadáveres (ESP)

Cadavres exquis (FRA)

Deutsche Erstaufführung:

28. Mai 1976

Regisseur:

Francesco Rosi

Inhalt

Im Laufe kurzer Zeit werden mehrere hochrangige Justizangehörige ermordet. Inspektor Rogas (Lino Ventura) ermittelt, dass die Opfer alle vor vielen Jahren an einem Justizirrtum beteiligt waren. Der damals möglicherweise unschuldig Verurteilte ist jetzt wieder auf freiem Fuß. Könnte er der Täter sein? Der Polizeichef (Tino Carraro) sagt nein, er sieht den Täter ganz klar bei umstürzlerischen Gruppen…

Autor

Maulwurf

Review

Italien ist bekanntlich das Land mit der höchsten Anzahl Regierungen seit dem zweiten Weltkrieg. Im Jahr 2013 sind es 64 Regierungen die dieses Land erlebt hat, in Deutschland waren es derer 8! (Das ausgerechnet Silvio Berlusconi sich extrem lang im Amt halten konnte ist wohl entweder als Treppenwitz der Geschichte zu verstehen, oder nur mit dem Hang der Italiener zu einem männlich-starken Führer zu erklären.) Vor allem in den 70er Jahren waren die politischen Verhältnisse gelinde gesagt katastrophal. Zwar stellte die Christdemokratische Partei DC mit Giulio Andreotti über viele Jahre hinweg den Ministerpräsidenten, trotzdem wurden die Regierungen ausgetauscht wie Unterwäsche. In dieser Zeit, in der in vielen Ländern Europas bewaffnete Untergrundorganisationen Anschläge verübten, wurde auch Italien von Terroristen heimgesucht. Bombenanschläge auf die Piazza Fontana in Mailand oder auf den Hauptbahnhof von Bologna (nur als Beispiele) hielten das ganze Land in Atem und erzeugten eine Atmosphäre der Angst. Die Anschläge wurden damals linken Terroristen zugeschrieben, und eine Hexenjagd auf Linke begann.

 

Nun waren aber in Italien die Kommunisten seit Kriegsende immer sehr stark. So stark, dass sie Mitte der 70er Jahre sogar eine Regierungsbeteiligung mit den Christdemokraten anstrebten, eine Kombination, die im Volk recht beliebt war, bei der Führungselite (nicht nur in Italien) aber Angst und Schrecken erzeugte. Der Höhepunkt dieser Zeit war dann 1978 die Entführung und Ermordung des DC-Politikers Aldo Moro, der als sehr starker Befürworter dieser Koalition galt (und sich außerdem für einen NATO-Austritt Italiens stark machte). Diese Tat wurde den Roten Brigaden zugeschrieben, was das Ende der Annäherung zwischen DC und der Kommunistischen Partei PCI bedeutete.

 

Seit den frühen 90er Jahren ist bekannt, dass alle diese Taten nicht von linken Terroristen, sondern von rechtsgerichteten Extremisten unter starker Mithilfe des Militärs und der Geheimdienste verübt wurden. Das Ziel war, eine Stimmung gegen Links zu erzeugen, um die drohende Koalition zwischen DC und PCI zu verhindern, was die erste europäische Regierung unter Beteiligung einer kommunistischen Partei gewesen wäre. Wer mehr Informationen zu diesem Thema haben möchte, das Internet ist voll damit. Interessierte sollten einfach mal mit dem Begriff „Aldo Moro“ bei Wikipedia beginnen und sich dann einen Abend frei nehmen. Das Thema ist sehr spannend, und leider auch extrem beängstigend.

 

Das Wissen um diese Vorgänge sollte vorhanden sein, wenn man sich DIE MACHT UND IHR PREIS anschaut, andernfalls ist nach etwa 30 Minuten jeglicher Handlungsfaden fort. Rosi skizziert nicht mehr und nicht weniger als die gesellschaftliche und politische Stimmung dieser Zeit, die später Anni Piombi genannt wurde, die bleiernen Jahre. Angst ist das vorherrschende Merkmal, gepaart mit Unsicherheit und Misstrauen. Niemandem kann vertraut werden, die politische und wirtschaftliche Führung des Landes tut alles um an der Macht zu bleiben und Profit daraus zu schlagen (siehe die kleine Episode mit dem Zitronenzüchter), und nimmt dafür einen absoluten Stillstand des Landes in jeder Hinsicht in Kauf. Inspektor Rogas, der pragmatisch und zielstrebig die richtige Spur verfolgt, wird da als kleines Rädchen einfach nur untergebuttert. Als er merkt, dass er mit seinen Ermittlungen die falschen aufgeschreckt hat, ist es für ihn bereits zu spät. Der Zuschauer weicht nie von Rogas’ Seite, was Rogas weiß, weiß auch der Zuschauer. Auf diese Art wird das Komplott, der dahinterliegende Plan, nie wirklich durchschaubar. Er bleibt monströs und angsteinflößend, das empfindet der Inspektor genauso wie der Zuschauer. Aus der heutigen Sicht hat der Zuschauer sogar noch einen kleinen Wissensvorsprung, was das Aufdecken des Plans umso schrecklicher macht. Vor allem mit dem Schluss ist Rosi eine böse Prophezeiung gelungen, immerhin wurde der Film VOR der Entführung Aldo Moros gedreht. Und während die Schlusstitel laufen, und im Hintergrund laufende Panzermotoren zu hören sind, stellt sich die finale Gänsehaut ein mit dem heutigen Wissen, wie knapp Italien damals einem rechtsgerichteten Militärputsch entgangen sein mag.

 

Aber somit funktioniert der Film tatsächlich nur dann, wenn Wissen um die damalige Zeit vorhanden ist. Wie Rosi die Kriminalgeschichte um den Apotheker und die Verschwörungsgeschichte um die Richter miteinander kombiniert, immer wieder von der einen Seite zur andern wechselt, die Erzählstränge ineinander aufgehen lässt, das erfordert ein wenig Sitzfleisch und Konzentration. Popcorn-Kino ist das definitiv nicht (was von meiner Seite als Kompliment gewertet werden sollte), eher ein Stück Zeitgeschichte für Interessierte. Keine Knalleffekte wie beim BAADER-MEINHOF-KOMPLEX, sondern Geschichtsunterricht mit Gänsehautfaktor. Die Schauspieler machen ihre Sache (wie üblich) hervorragend, Piero Piccionis Score ist unaufdringlich düster, und die Settings zeigen ein Land das im Abstieg begriffen ist. Für politisch Interessierte eine absolute Empfehlung, für alle die Spannungskino bevorzugen eher nicht.

Autor

Maulwurf

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