Der Besuch

Frankreich | Deutschland | Italien | USA, 1964

Originaltitel:

The Visit

Alternativtitel:

La visita del rencor (ESP)

La rancune (FRA)

La vendetta della signora (ITA)

La visita (MEX)

Het bezoek (NLD)

Besøket (NOR)

Wizyta starszej pani (POL)

A Visita (PRT)

Besöket (SWE)

The Lady's Vengence

Deutsche Erstaufführung:

17. September 1964

Regisseur:

Bernhard Wicki

Inhalt

Güllen. Ein kleines Kaff, irgendwo im nördlichen Balkan. Ein geschlossenes Bergwerk, ein paar geschlossene Fabriken, eine Bahnstation, an der einmal die Woche ein Zug hält, und das Kaufhaus von Miller. Und Karla Zachanassian, die hier vor 20 Jahren fortgegangen ist. Ms. Petroleum, wie man sie in der internationalen Presse nennt, die nach dem Tod ihres Mannes ein Firmenimperium und ein gigantisches Vermögen geerbt hat. Und die jetzt wiederkommt, zurück nach Güllen, in den Ort, der mal ihr Zuhause war.

 

Alle Bewohner sind wie verrückt: Der Bürgermeister versucht noch halbwegs Fassung zu bewahren, aber wenn Karla wiederkommt, nein Verzeihung: Frau Zachanassian, vielleicht fällt dann für den Ort auch ein wenig Geld ab? Es ist doch immerhin die alte Heimat …? Der Polizeihauptmann Dobbrik hat seine Leute fest im Griff, und keinerlei Unregelmäßigkeiten sind zu befürchten. Und es wird auch auf jeden Fall noch Zeit bleiben, ein wenig mit der attraktiven Anja rumzumachen, der Dobbrik schon seit Urzeiten verspricht, seine eigene Frau zu verlassen und mit ihr fortzugehen. Der Lehrer, der Karla jeden Tag verprügelt hat, damit einmal etwas aus ihr wird. Und natürlich Miller. Miller, der heute, 20 Jahre später, Karla immer noch liebt, obwohl er damals Mathilde geheiratet hat. An Miller bleiben auch Karlas Augen leuchtend haften, als sie aus dem Zug steigt, und mit Miller macht sie einen Spaziergang. Durch den Ort, und runter zur Hütte am See, wo sie sich geliebt haben. Und wo Karla ihn als ersten Mann überhaupt …

 

Aber warum eigentlich sollte die reichste und mächtigste Frau der Welt nach 20 Jahren in einen Ort namens Güllen zurückkehren? Die Vorlage der Geschichte ist Friedrich Dürrenmatts Besuch einer alten Dame, und mit dem Wissen weiß man was kommt: Es geht um Rache, und das nicht zu knapp. Was Karla beim Diner dem gesamten Ort erzählt, und was sie dem Ort für ein Angebot macht, dann wenn alle Einwohner zuhören, das ist schon etwas Aberwitziges und Besonderes: Karla ist bereit, dem Ort 2 Millionen zu geben. Für den Tod von Miller. Miller? Unmöglich! Miller ist aller Freund. Miller ist der Kaufmann, und jeder kennt und schätzt ihn, und überhaupt ist dieses Angebot zutiefst unmoralisch …

 

Bereits am nächsten Tag beginnen die Menschen, in Millers Laden auf Pump zu kaufen. Schließlich kommt ja bald Geld in die Stadt. Zwei Millionen, eine Million für die Gemeindeverwaltung, und eine Million für alle Menschen die hier leben. Da kann man sich schon etwas leisten: Ein neues Kleid, guten französischen Cognac, ein paar neue Stiefel. Millers Frau leistet sich eine neue Kühltheke. Miller selbst wird zunehmend in die Enge getrieben, und wie ein Tier wird er zum Äußersten getrieben, derweil Karla auf dem Balkon des Hotels sitzt und den Fortgang der Dinge überwacht. Die Jagd auf Miller koordiniert. Hier Stop sagt und dort Weiter winkt.

Autor

Maulwurf

Review

Es ist fast unmöglich, die schauspielerischen Leistungen adäquat zu beschreiben. Die zunehmende Angst und Klaustrophobie Millers (Anthony Quinn). Der sichtbare Hass Karlas (Ingrid Bergmann), und nichts anders als blanker und eiskalter Hass ist es den sie verbreitet hinter ihrem netten, ältlichen und gleichzeitig attraktiven Gesicht. Der joviale Maler (Romolo Valli), der mit seinen treuherzigen Augen der erste ist der auf Pump kauft. Der fesch uniformierte und schneidige Dobbrik (Hans Christian Blech), der seine Geliebte genauso behandelt, wie Miller damals Karla behandelt hat. Und diese Geliebte Anja (Irina Demick), die so gerne weg möchte. Wohin? Weiß nicht, erstmal nach Triest. Nein, nicht nach Triest. In Triest hat für Karla alles begonnen. Dort, in einem Haus …

 

Dann ist da noch der Doktor (Paolo Stoppa), der eigentlich Millers Freund und ein kluger und belesener Philosoph ist. Der sich aber genauso den Sachzwängen beugt wie alle in Güllen. Und natürlich Mathilde, deren Vater den Laden besessen hat der jetzt Miller gehört. Der sich damals ebenfalls den Sachzwängen gebeugt hat. Und und und …

 

Alle haben damals eine bestimmte Beziehung gehabt zu Karla, und nach und nach durchbricht Karla diesen Schutzschirm, den die Menschen über die damaligen Vorkommnisse gelegt haben, und fördert das schlechte Gewissen an den Tag. Aber nicht nur das schlechte Gewissen, sondern auch die Gier. Karla hält den Menschen einen grausamen Spiegel vor: Schaut euch und eure Gier an, sagt sie, und zeigt mir wie weit ihr gehen wollt. Seid ihr bereit einen Menschen aus eurer Mitte zu töten, um eure Gier zu befriedigen?

 

Karla hält aber auch dem Zuschauer diesen Spiegel vor: Schau, Betrachter dieser Bilder (bzw. Leser dieser Zeilen), wie weit bist Du bereit zu gehen, um Deine Gier zu befriedigen? Zwei Millionen … Würdest Du dafür Deinen Freund töten? Du müsstest es ja nicht einmal selber tun, Du müsstest nur zustimmen. Zustimmen, zwei Millionen zu bekommen. Nein, Du natürlich nicht, aber vielleicht Dein Nebenmann? Dein Nachbar? Dein Partner?

 

Diese außerordentlichen Schauspieler sind es, welche den Spiegel auf den Zuschauer übertragen. Auf dass er beginnt über den Film nachzudenken und sich Fragen zu stellen. Seine eigene Selbstzufriedenheit und Sicherheit beginnt zu bröckeln, so wie die Selbstzufriedenheit und die Sicherheit Millers bröckeln, wie sie vollkommen wegbrechen und ein leeres und hohles Gerippe an Angst und Panik hinterlassen. Ein Kopfgeld auf Miller, was für ein Hohn. Doch nicht hier! Und trotzdem kaufen alle auf Pump ein, schließlich wird ja bald Geld da sein. Eines Abends kommen Busse und LKWs in das Örtchen und eine Verkaufsshow beginnt. Kühlschränke, Radios, schöne Kleider … Die Verkäufer preisen ihre Ware ja nicht einmal an, sie zeigen sie nur, und die Gier nach schönen Dingen glitzert in den Augen der Menschen. Das alles könnten wir uns leisten wenn wir das Geld hätten, das denken sie. Spätestens wenn Anja sich in ihrem neuen Kleid in der Bewunderung ihrer Mitbürger sonnt, spätestens dann bricht die Zurückhaltung. Und Karla sitzt auf ihrem Balkon über der Piazza wie ein Regisseur, dessen genau kalkuliertes Theaterstück an genau den richtigen Stellen zündet. Zündelt …

 

Wo die Erzählung beim Lesen oft brav und bieder wirkt, und das Grauen erst im Nachgang Stück für Stück freigibt, da verlangt es die Dramaturgie eines Films, die Gefühle sofort zu zeigen. Die nackte Angst in Millers Gesicht bei der Jagd, die bittere und eiskalte Verachtung in Karlas Augen, wenn sie vor dem Zug steht und die Menschen ihrer früheren Heimat taxiert. Die Habgier in den Augen der Menschen, wenn sie die schönen und funkelnden Dinge sehen. Und die Scham in den gleichen Augen der gleichen Menschen, wenn ihnen bewusst wird was sie getan haben.

 

DER BESUCH ist ein bitterer und grausamer Film, der das menschliche Verhalten in einfachen und klaren Strichen malt: Wer die Möglichkeit hat, sich auf Kosten anderer zu bereichern, der wird dies immer und unter allen Umständen tun. Eigentlich ein Film, der auch heute noch an den Schulen gezeigt werden sollte …

Autor

Maulwurf

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