Tagebuch einer Kammerzofe

Frankreich | Italien, 1964

Originaltitel:

Le journal d'une femme de chambre

Alternativtitel:

O Diário de uma Camareira (BRA)

El diario de una camarera (ESP)

The Diary of a Chambermaid (GBR)

Il diario di una cameriera (ITA)

Diário de Uma Criada de Quarto (POR)

Diary of a Chambermaid

Deutsche Erstaufführung:

14. August 1964

Regisseur:

Luis Buñuel

Inhalt

Das Pariser Dienstmädchen Célestine (Jeanne Moreau) tritt eine neue Anstellung in einem herrschaftlichen Haus in der Normandie bei der Familie Monteil an. Ihr eigentlicher Arbeitgeber ist der Schwiegervater Monsieur Rabour, der sich als Schuhfetischist entpuppt. Dessen frigide Tochter treibt mit ihrer Ablehnung fleischlicher Gelüste ihren Ehemann Monsieur Monteil (Michel Piccoli) in sexuelle Frustration und Triebhaftigkeit, was zu gelegentlichen Schwangerschaften früherer Dienstmädchen führte. Der Hausangestellte und überzeugte Faschist Joseph ist zunächst überaus unfreundlich zu Célestine, fühlt sich aber zu ihr hingezogen.

 

Darüber hinaus befindet sich Monsieur Monteil in einem nachbarschaftlichen Privatkrieg mit dem Ex-Militär Capitaine Mauger. Als Célestine ihre Anstellung nach dem würdelosen Tod Monsieur Rabours aufgibt, erfährt sie auf dem Weg zum Bahnhof von der Vergewaltigung und Ermordung der kleinen Claire, einem Bauernmädchen, dass Célestine in ihr Herz geschlossen hatte. Sie ist überzeugt, dass Joseph der Täter ist. Um Beweise hierfür zu finden, geht sie gar zum Schein auf seinen Heiratsantrag ein. Dabei ist Joseph nicht der einzige im Umfeld, der einer solchen Tat fähig wäre.

Review

Ein schwieriger Stoff für einen Amateur wie mich, deshalb: mein Text, meine Regeln. Beschreiten wir also zunächst einen Umweg, um Bunuels Inhalte und Anliegen etwas deutlicher zu machen, nämlich über die von ihm vorgenommen Änderungen der literarischen Vorlage.

 

Der Roman „Tagebuch einer Kammerzofe“ (Le journal d’une femme de chambre) von Octave Mirbeau ist im Jahr 1900 erschienen, und somit zeitlich früher angesiedelt als Bunuels Film. Mirbeau zeichnet hierin das Sittengemälde eines verdorbenen und verlogenen Großbürgertums während der Ära des Fin de Siècle am Beispiel der Familie Lanlaire. Bestandteil von Mirbeaus Vorlage ist dabei ebenso der Traum der Kammerzofe Célestine vom Aufstieg ins Bürgertum, was ihr letztlich durch eine Eheschließung mit dem Gärtner Joseph gelingt, den sie heiratet, obwohl sie ihn für einen Kinderschänder und Mörder hält. Genau an dieser Stelle – Bunuel-Fans mögen mir vergeben – versagt Bunuels Adaption ein wenig. So beschreibt Mirbeau Célestines Gedanken so: „Joseph hat mich in der Gewalt wie ein Dämon. Ich würde vor nichts zurückschrecken, was er mir befiehlt, nicht einmal vor einem Verbrechen …“ Bei  Bunuel dagegen ist es Joseph der meint, „du bist genau wie ich, wir sind vom gleichen Schlag.“ Und wir Zuschauer haben keine Ahnung, wovon er da spricht. Wir wissen, Célestine will ihn als Mörder überführen, aber warum sie hierzu mit ihm schläft oder gar einwilligt seine Frau zu werden, ist kaum nachvollziehbar. Ihre Aktion, ihn über einen gefälschten Beweis verhaften zu lassen, hätte sie auch ohne dies durchführen können.

 

Später marschiert Bunuel aber in eine völlig andere Richtung, ermöglicht Célestine nicht nur einen Aufstieg ins Bürgertum sondern gar in die Bourgeoisie selbst. Doch nun ein paar Schritte zurück. Zunächst schlägt Bunuel den gelungenen Weg der Satire ein, hält mit den Geheimnissen der Hausbewohner nicht lange hinterm Berg und krönt diesen Teil mit dem Tod von Monsieur Rabour, auf dem Bett liegend, die frisch von Célestine getragenen Stiefelchen noch ekstatisch an sich gepresst. Angesiedelt ist Bunuels Adaption im Jahre 1928 – also später als Mirbeaus Roman – lässt aber seltsamerweise die Anspielungen auf die Dreyfus-Affäre (1894) drin. Hierüber führt er den Antisemitismus Josephs ein, der Traktate für die Nationalisten verfasst und thematisiert so aufkeimende faschistische Strömungen jener Zeit. Natürlich waren diese nicht neu sondern bereits zuvor, jedoch eher beim Adel selbst, verankert. Denselben Antisemitismus findet man ebenfalls in der Figur des Capitaine Mauger, der uns Zuschauern zunächst noch recht sympathisch schien.

 

Als die 13-jährige Claire vergewaltigt und ermordet wird, scheint zunächst alles klar. Wie Rotkäppchen hüpft sie mit einem Korb in der Hand durch den Wald, sammelt Schnecken und Beeren. Dabei begegnet sie Joseph, der bereits zuvor – in Célestines Gegenwart – sein Begehren für das kleine Mädchen erschreckend deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Zunächst scheint er seinen Weg fortsetzen zu wollen, doch dann macht er spontan (und mit finsterem Blick) kehrt und rennt dem Mädchen hinterher. Ein paar Tage später findet man ihre Leiche. Célestine ist – wie bereits erwähnt – von seiner Schuld überzeugt, und wir Zuschauer sind das ebenfalls. Zunächst. Denn dann streut Bunuel Zweifel, wirft Fragen auf, die uns vom Weg abbringen. Wer an dieser Stelle den Fehler begeht, sich darauf einzulassen und meint, von jetzt an einen Thriller zu sehen, wird enttäuscht werden. Denn trotz der Tatsache, dass Joseph wohl tatsächlich nicht der Einzige ist der einer solchen Tat fähig wäre, ist die Schuldfrage für Bunuel längst abgehakt.

 

Jeanne Moreau spielt die Rolle der Célestine überzeugend und in gewissem Sinne auch geheimnisvoll, denn ihre Gedanken oder die Art ihrer Persönlichkeit bleiben trotz der Tatsache, dass sie natürlich die Sympathieträgerin des Filmes ist, im Dunkeln. Zum Ende hin trifft sie zunehmend Entscheidungen, die sich uns nicht so recht erschließen wollen. Am Ende folgt noch ein ironischer Moment von Bunuel in eigener Sache als er Joseph während einer vorüberziehenden Truppe von Faschisten „Vive Chiappe“ rufen lässt, den Namen des Präfekten, der einst in Favorisierung rechter Gruppierungen ein Aufführungsverbot für Bunuels „L’Age d’or“ (Das Goldene Zeitalter, 1930) erließ.

 

Bereits 1945 verfilmte Jean Renoir eine recht fleischlose Adaption von „Tagebuch einer Kammerzofe“, wo aus dem antisemitischen Kindermörder Joseph ein Tafelsilberdieb wird, der - ertappt - Capitaine Mauger tötet, und gekrönt wird Ganze schließlich mit einem Happy End zwischen Célestine und einer Figur, die Renoir selbst eingeführt hat und in der Romanvorlage nicht existiert, ebenso wie einen weiteren wesentlichen Teil der Haupthandlung. Bunuels Film also als Remake von Renoirs Film zu bezeichnen, wäre schlicht falsch und zudem qualitativ ungerecht. Und es gibt noch eine – freilich inoffizielle – komödiantische Adaption: Jess Francos „Celestine – Mädchen für intime Stunden.“ Dass Franco hierbei aus naheliegenden Gründen auf die Nennung von Mirbeau verzichtet ändert nichts an den zahlreichen Ähnlichkeiten bei den Figuren. In Sachen cineastisch-literarischer Qualität hat Bunuels Verfilmung also die Nase vorn.

Filmplakate

Links

OFDb
IMDb

Bitte Kommentar schreiben

Sie kommentieren als Gast.