Calibro 9

Belgien | Italien, 2020

Alternativtitel:

Caliber 9 (USA)

Regisseur:

Toni D'Angelo

Kamera:

Rocco Marra

Inhalt

Als von dem Konto eines Mandanten 100 Millionen Euro spurlos verschwinden, geht dem Anlageberater Fernando Piazza (Marco Bocci) gehörig der Arsch auf Grundeis. Denn es geht ausgerechnet um das Geld der Mafia, das durch diverse Transaktionen gewaschen werden sollte. Zudem ist seine Geschäftspartnerin, die ehemalige Hackerin Roberta (Jessica Cressi), spurlos verschwunden. Zur gleichen Zeit wird der alternde Gangster Rocco Musco (Michele Placido) aus dem Knast entlassen. Er wurde für einen Mord verurteilt, der den Tod von Fernandos Vater Ugo rächte. Und der hatte damals das Syndikat auch um eine Menge Geld erleichtert. Nur verständlich, dass auch Fernando kritisch von brutalen Gangstern ausgefragt wird. Um mit aller heiler Haut aus der Sache zu kommen, überredet er seine Ex-Freundin Alma (Kseniya Rappoport) ihn zu ihren Vater, einem hochrangigen Mafioso, zu bringen, damit er diesen von seiner Unschuld überzeugen kann. Doch die Killer des Syndikats sind ihnen auf den Fersen, genauso ein Polizist (Alessio Boni), der ein persönliches Interesse an dem Fall zu haben scheint…

Review

Wem nun bei den Namen Ugo Piazza und Rocco Musco sofort die Augenbrauen hochschnellen, dem sei gesagt, ja, es handelt sich bei CALIBER 9 tatsächlich um eine (wahrscheinlich nicht wirklich autorisierte) Fortsetzung zu Fernando Di Leos legendärem Thriller MILANO KALIBER 9 von 1971. Und neben diesen Namen entlehnten die Drehbuchautoren (es gibt gleich derer drei) die Idee für die Plotte ihres Action-Thrillers. Wieder einmal geht es um Mafia-Gelder, die verschwunden sind, wieder hat ein Piazza (hier nun Sohnemann Fernando) seine Finger im Spiel und die Killer im Nacken. Doch im Gegensatz zum Vater ist Fernando selbst eben kein knallharter Gangster, sondern in der Welt des Bankwesens beheimatet. Musste das Geld in MILANO KALIBER 9 noch physisch außer Landes geschmuggelt werden, wird so etwas heutzutage natürlich digital erledigt, die Beträge durch mehrere undurchsichtige Transaktionen „gewaschen“ und auf Offshore-Konten transferiert. Dementsprechend präsentiert sich CALIBRO 9 im blitzsauberen Hochglanz-Look. Der Film bietet gleich anfangs eingespielte Panorama-Aufnahmen eines Bankenhochhauses (angeblich in Frankfurt verortet, was ich aber stark bezweifle), sowie Aufnahmen anderer Geldwäsche-Metropolen und einige Aufnahmen von Nachrichtensendungen sollen Internationalität vermitteln. Dies soll illustrieren, welche Wellen das unerklärliche Verschwinden des Geldes schlägt, offenbart eigentlich aber nur die geringeren finanziellen Mittel der Filmemacher, da es sich bei den Panorama-Shots augenscheinlich um billig eingekaufte Archivaufnahmen handelt, die zudem mehr als einmal verwendet werden (wie bei billigen Pay-TV-Produktionen). Regisseur Toni D’Angelo hat seine liebe Mühe damit, auch nur ansatzweise eine Grundspannung zu etablieren. Denn gleich in der ersten Szene geben sich Fernando und Roberta einem Gedankenspiel hin, das schon recht eindeutig die Richtung vorgibt, wohin sich die Geschichte letztlich entwickelt. Ein anderes Problem des Skripts ist seine Sprunghaftigkeit. Zuerst geht es darum, dass Fernando unter Druck steht, dann darum, dass er mit der scheinbar Action-erprobten Alma auf der Flucht ist, um sich die Absolution eines Mafiapaten abzuholen; mit welcher Legitimation das vonstatten gehen soll, wird nie geklärt. So verkommt zuerst die Jagd nach Roberta (die nach einiger Zeit schon aus unerfindlichen Gründen keine Rolle mehr zu spielen scheint) und dann auch das Treffen mit dem Paten zu einem McGuffin, der nur dazu da scheint, eben die Jagd und die in ihrem Verlauf stattfindenden Scharmützel zu begründen. Spannung will da nicht aufkommen, denn es gibt kaum einen vernünftigen Grund, mit Fernando mitzufiebern. Ebenso verhält es sich mit dem Polizisten, der ihn genauso im Nacken sitzt und scheinbar ein persönliches Motiv mit einbringt. Der Grund für sein Handeln, bei dem er auch mal die Grenze der Legalität übertritt, bleibt zu lange im Dunkeln. Das Skript gibt keine Guten und Bösen, Täter und Opfer vor, was ja okay wäre, wenn wir wüssten, warum es die Linie zwischen beiden verwischt, wenn sich die Ambivalenz der Protagonisten auf das große Ganze auswirken würde, wie es eben bei Di Leos MILANO KALIBER 9 der Fall war. Dort begegneten sich etwa die Antagonisten Ugo Piazza und Rocco Musco mit großem Respekt, und Piazza hatte Freunde, die sich für ihn ins Messer stürzten, weil sie eben keine andere Wahl sahen. Solcherlei Motivationen sucht man bei CALIBRO 9 vergeblich. Was passiert, passiert, es folgt keiner Kette von sich bedingenden Ereignissen. Dementsprechend siecht der Film, trotz eines hohen Erzähltempos, vor sich hin. Irgendwann stellt sich sogar Langeweile ein.

 

Es gibt trotzdem einige Sachen, auf die sich Fans des Originals freuen können. So kehrt Barbara Bouchet mit Mitte 70 in ihrer Rolle als Nelly zurück (es werden sogar während des Vorspanns einige ihrer Tanz-Szenen aus dem Original im Hintergrund eingespielt). Allerdings erweist sich auch ihre Rolle nicht groß von Belang, genauso wie der Anschluss an die alte Geschichte nicht wirklich gelingt, da 1. wohl mit größerer Wahrscheinlichkeit ihr Liebhaber aus dem Film der Vater von Fernando sein müsste und sie 2. viel zu wohlwollend über Ugo spricht (eigentlich hatte sie ihn ja gehasst). Mario Adorf konnte man leider nicht für einen weiteren Auftritt als Rocco Musco gewinnen, ich denke auch nicht, dass man ihn im Vorfeld des Castings darauf angesprochen hat, da er ja seine Partizipation an diesen italienischen Genrefilme heutzutage bereut (warum-auch-immer). Allerdings ist den Produzenten mit der Verpflichtung von Michele Placido (LA ORCA, ALLEIN GEGEN DIE MAFIA) ein richtiger Besetzungscoup gelungen. Der Altstar gibt den aus der Haft entlassenen Gangster halbwegs überzeugend, auch wenn man sich fragen muss, warum dieser denn fast 50 Jahre wegen eines Mordes im Affekt einsitzen musste. Er darf sich darauf von Fernando in einer Disco lächerlich machen lassen, spielt im Endeffekt aber eine nicht unwichtige Rolle für den Film, auch wenn er über die meiste Zeit der Handlung wieder abtaucht. Außerdem besucht er in einer Szene das Grab seines „Freindes“ Ugo Piazza, auf dem tatsächlich das Konterfei Gastone Moschines prangt. Hauptdarsteller Marco Rocci spielt schon seit Jahren immer wieder Polizisten oder Gangster in italienischen Krimis, liefert auch hier eine sehr routinierte Leistung ab. Allerdings gibt er sich scheinbar auch nicht viel Mühe, seiner etwas schemenhaften Hauptfigur einige Konturen zu verpassen. An seiner Seite kann die russische Schauspielerin Kseniya Rappoport, auch physisch, problemlos mithalten. Da sie in ihrer Heimat einen relativ hohen Bekanntheitsgrad genießt, dürfte ihr Engagement auch der Vermarktung von CALIBRO 9 auf den russischen Markt abzielen. Alessio Boni (ARRIVIDERCI AMORE, CIAO) hat auch sichtlich damit zu kämpfen, dass seine Rolle als hartnäckiger Cop nicht wirklich ausformuliert wird. Unter den drei Hauptrollen überzeugt er aber am ehesten.

 

Regisseur Toni D’Alberto setzt auf den gediegenen Look einer wertig erscheinenden Hochglanzoptik, was an manchen Stellen aber derart übertrieben zelebriert wird, dass man sich in einem Musikvideo glaubt. Die Actionszenen werden zeitgemäß von schnellen, harten Schnitten begleitet und lassen Abwechslung in den Kameraeinstellungen etwas missen. Inhaltlich verschiebt sich der Fokus in der zweiten Hälfte auf Fernando und Alma, die natürlich in ein erneutes Aufleben ihrer alten Liebe resultiert, was D’Alberto mit einigen kitschigen und daher ausgelutscht klischeehaften Szenen festhält. Und dann bekommen wir noch ein Einführungsritual in die Mafia zu sehen, die mehr als ein wenig an Johnnie Tos Triaden-Thriller ELECTION erinnert (den D’Alberto sicherlich gesehen hat). Sowieso setzt das Skript von Luca Poldelmengo, Marco Martani und Produzent Gianluca Curti (SCARLET DIVA) nicht auf Innovation, sondern wirft, teils anscheinend recht wahllos, Versatzstücke alter Genrefilme in den Pott, die man dann versucht in die heutige Zeit zu übersetzen. Alleine schon die offenkundige Nähe zu MILANO KALIBER 9 sorgt letztlich dafür, dass selbst der große Twist am Ende, wenn auch wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert, kaum zu überraschen vermag.

 

Alles in allem versucht sich CALIBRO 9 eben viel zu sehr, seinem großen Vorbild nachzueifern, was zwar ein freudiges Wiedersehen mit alten Recken mit sich bringt, aber leider eben alles, was dies ausmachte, fast vollkommen außer Acht lässt. Als (an sich schon unnötiges) Sequel versagt der Film vollends, auch als eigenständiger Thriller ist er kaum brauchbar. Das Bemühen, eine Wiederbelebung des alten italienischen Genrefilms im Stile der 70er anzustoßen, ist zwar von meiner Seite sicherlich begrüßenswert (auch wenn man sich vor Augen halten sollte, dass die Filme sehr dieser Zeit verhaftet waren), doch es bleibt zu hoffen, dass, sollte das ansatzweise fruchten, auch noch bessere Filme dabei rumkommen werden.

Veröffentlichungen

Derzeit ist mir nur die physische Veröffentlichung des Films als italienische DVD und Blu-ray von Minerva Pictures bekannt. In Deutschland gibt es den Film über Sky zu sehen.

 

Links

OFDb

IMDb

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