Der Gehetzte der Sierra Madre

Italien | Spanien, 1966

Originaltitel:

La resa dei conti

Alternativtitel:

Colorado (FRA)

El halcón y la presa (ESP)

The Big Gundown

Deutsche Erstaufführung:

27. Juni 1967

Regisseur:

Sergio Sollima

Inhalt

Jonathan Corbett ist der Schrecken aller Gesetzlosen, denn der effektive Kopfgeldjäger besitzt einen ausgeprägten Jagdinstinkt und lehrte seinem Colt die sechs qualvollen Strophen des Todes fehlerfrei zu musizieren. Derartige Begabungen machen in Texas freilich schnell die Runde und die bessere Gesellschaft will den Bounty Hunter nun liebend gern zum Senator machen und in ihre dreckigen Geschäfte einspannen. Zuvor soll Corbett jedoch den Mexikaner Cuchillo, der angeblich ein zwölfjähriges Mädchen vergewaltigt und ermordet hat, dingfest machen und anschließend tot oder lebendig im Sheriffbüro abliefern. Doch das ist leichter gesagt als getan, da in den schmutzigen Lumpen ein mit allen Wassern gewaschener Spitzbube steckt, der seinen Verfolger stets an der Nase herumführt.

Review

“Somewhere there is a land where men do not kill each other.
Somewhere there is a land where men call a man a brother.
Somewhere you will find a place where men live without fear.
Somewhere, if you keep on running, someday you'll be free.”

 

Somewhere, wahrscheinlich - wie es Judy Garlands zauberhafte Stimme in dem noch zauberhafteren Film von Victor Fleming verkündet - „over the rainbow“ muss dieses Land, frei von Hass und Gewalt, wo alle Menschen Brüder sind, liegen. Ich konnte dieses Paradies bisher leider nicht entdecken, sonst wäre ich längst ausgewandert und hätte unserem schäbigen Planeten Lebewohl gesagt, um dem mir emsig gelieferten Unwohl zu entfliehen. Die Welt ist halt abscheulich, sie ist brutal, sie ist hundsgemein, sie ist Jacopetti! Oder wie Keoma es auf den Punkt brachte „Die Welt ist schlecht!" Sergio Sollima wusste natürlich wo das grüne Quarktier die Dauerwelle verborgen hält und war bestrebt diese schlechte Welt als eben solche zu illustrieren, sodass er die immense Kluft zwischen Arm und Reich sowie die Korruption und die einhergehende Machtgier ihrer „ehrenhaften Protagonisten“ in seinem Western „Der Gehetze der Sierra Madre“, mit Nadelstichen und Seitenhieben garniert, apostrophierte. Im Zuge dessen hat es Sollima fertig gebracht, einen in mehrerlei Hinsicht einzigartigen Western, ich möchte gar sagen: ein Ideal des Italo-Westerns, zu schaffen, denn dieser Film ist so dermaßen reich, dass es mir eine Ehre ist, nun am PC zu sitzen, leider immer noch viel zu weit von dem Land „over the rainbow“ entfernt, um diesen Text zu verfassen. Die eingangs zitierten Zeilen stammen freilich aus dem grandiosen Titelsong „Run Man Run“, dessen Melodie die chinesischen Filmregisseure und Produzenten dermaßen euphorisierte, dass sie es den osmanischen Kollegen gleichtaten und Ennio Morricones Tonstück in unzähligen Wald- und Wiesen Eastern zum Einsatz zu brachten.

 

„Der Gehetzte der Sierra Madre“ basiert auf einem von Franco Solinas verfassten Drehbuch, das von Sergio Donati und Sergio Sollima zu einer Westernstory, welche die Jagd nach dem Mexikaner Cuchillo Sanchez (dem Sollima zwei Jahre später in „Lauf um dein Leben“ einen weiteren Auftritt spendierte) zentralisiert, umfunktioniert wurde. Mit der Firmierung Cuchillo-Trilogie tue ich mich seit jeher etwas schwer, da der Charakter Cuchillo in Sollimas „Von Angesicht zu Angesicht“ keine Erwähnung findet. Ungeachtet dessen, lässt sich die Fusion, welche die drei Filme innerhalb eines übergeordneten Terminus einen soll, mit einem jeweils flüchtenden Hauptcharakter (stets von Tomas Milian verkörpert) rechtfertigen.

 

Ein Flüchtender ist in den meisten Fällen zugleich ein Gesuchter. Und im Dunstkreis des Gesuchten liegt selbsterklärend ein Jäger auf der Lauer, der den Gesuchten zur Strecke bringen will. Diese konventionelle Konstellation beliefert zugleich die Kopfgeldjägerthematik, welche - die Pinkerton-Western außer Acht gelassen - in den ganz frühen 1930ern erstmals in dem Film „Trails of Peril“ thematisiert wurde. Als Hauptdarsteller agierte der seinerzeit überaus populäre wie ebenso produktive Wally Wales.

 

Obwohl der Kopfgeldjäger prinzipiell eine zweckdienliche Person war, haftete stets eine Minderwertigkeit an seiner Brust. Die britische Literaturhistorikerin Jenni Calder ging sogar soweit, dass sie die Bounty Hunter aus „The Wild Bunch“ als Untermenschen suggerierte. Womit sie einerseits Recht hat, da sich die Leichenfledderer von jeglicher Humanität verabschiedet hatten und nur noch ihren Trieben folgten. Andererseits muss man jedoch berücksichtigen, das die Gesellschaft in „The Wild Bunch“ wie auch im Italo-Western nicht auf moralischen Idealen basiert. Und in einer eben solchen dekadenten Gesellschaft wird der Kopfgeldjäger zu einem geschätzten Teil des Triebwerks, denn irgendwer muss die Drecksarbeit ja verrichten. Diese Tatsache hilft uns überdies zu verstehen, warum Jonathan Corbett während der Expositionsphase von dem Eisenbahngesellschafter Brokston das Angebot offeriert wird, als Senator zu kandidieren. Schließlich müssen kräftige Gäule vor den Karren schmutziger Geschäfte gespannt werden, damit die korrupte Zweckgemeinschaft unbeschadet durch den Morast kutschieren kann. Brokston mag zwar mit dem Gleisbau von Texas nach Mexiko auf die fortschrittliche Werbetrommel prügeln, aber sein primäres Ziel definiert er (wie für einen Eisenbahnmagnaten üblich) darin, aus dem Bauvorhaben mehrere Millionen Dollar Gewinn zu ziehen. Die Mächtigen sind halt durch und durch verkommen, sie beuten aus, verbreiten Unwahrheiten und schieben den Schwarzen Peter dem schwächsten Glied der Gesellschaft, den Armen, zu. So findet auch das leidige Thema Kinderschändung seine Erwähnung und wird zur Triebfeder bei der Jagd auf den Mexikaner Cuchillo.

 

Cuchillo und Corbett stellen sich somit als grundverschiedene Charaktere vor, welche uns die Kategorisierung in Gute und Böse (sofern man beim Italo-Western in Anbetracht der nicht vorhandenen Grenze zwischen den genannten Eigenschaften überhaupt davon reden darf) mit wachsender Spielzeit erschweren. Cuchillo, der Gerissene, der Schlagfertige und sehr wohl intelligente, ärmliche Bauer fundiert dabei fortwährend seine rebellische Attitüde, um dem Zuschauer (im Reich der verkommenen Machtinhaber) als Reflektor- wie Identifikationsfigur zu dienen. So ertappt sich der Zuschauer unablässig dabei, wie er dem ungewaschenen, mexikanischen Strolch das Entkommen vor seinem Jäger zugesteht und sukzessiv als einen bedeutsamen Teil seiner zuschauerlichen Ambitionen charakterisiert. Ungeachtet dessen, kann man Cuchillo im erweiterten Sinne als einen Anhänger der taktischen Guerillalehren des Carlos Marighella sehen. Marighella beschloss 1967 die Waffen gegen die brasilianische Diktatur zu erheben und später die Stadtguerrilla zu gründen. Der Grund für seinen Entschluss wurzelt in der Ermordung Che Guevaras. Dieses könnte auch erklären, warum die drei Sollima-Western ab und an als „trilogy cheguevarista“ suggeriert werden.

 

 „Wenn sie die Grenze passieren, sind auch sie ein Outlaw!“

 

Die Flucht definiert, wie es in vielen italienischen Western-Vehikeln der Fall ist, das unerschlossene Outlawparadies, Mexiko, als Ziel. Das Überschreiten der Grenze würde für Corbett jedoch das Außerkrafttreten der texanischen Gesetze bedeuten, was den Bounty Hunter seiner Befugnisse beraubt und ihn, gemessen an seiner Handlungsweise, ebenfalls zu einem Gesetzlosen degradieren kann. Für den Outlaw, damit spreche ich jetzt nicht allein den Charakter Cuchillo an, provozierte der Grenzübertritt allerdings einen durch und durch positiven Effekt. So machten sich im realen Wilden Westen mit dem Ende des Sezessionskriegs zahlreiche Südstaatler auf den Weg ins, wie Stiglegger im Kontext von „The wild Bunch“ Mexiko suggeriert, „Reich der Gesetzlosen“, um der Nordstaatenjustiz zu entkommen und Juárez oder Maximiliam (gelegentlich auch beiden gleichzeitig) ihre blutigen Dienste anzubieten. Einer der bekanntesten „Grenzübertreter“ ist Ben Thompson, dessen Geschichte als einer der Indikatoren für Robert Aldrich´s „Vera Cruz" bezeichnet wird.    

 

Das Überschreiten der Grenze zu Mexiko ebnet den Weg zu einem Finale, welches seinen Schauplatz in den Bergen der Sierra Madre findet und aus dem Spiel zwischen einem (!) Jäger und einem (!) Gejagten eine am Vorbild von „The Most Dangerous Game“ orientierte Hetzjagd wachsen lässt. Dabei wird der Gejagte zwar an seine physischen Grenzen getrieben, aber letztendlich nicht die Ausweglosigkeit, da die beidseitige Sympathie (Corbett / Chuchillo) Corbett zu einen fairen Verfolger kürt, der Cuchillo die Möglichkeit eines ebenso fairen Zweikampfs liefert. Diese finale Konfrontation offeriert einerseits die Perspektive, den innerlich verkommenen Chet Miller zu beseitigen, um den äußerlich Verkommenen Chuchillo von der falschen Anschuldigung rein zu waschen. Andererseits erfüllt sie (die Konfrontation) natürlich den allegorischen Zweck einer Revolte. Das Aufbegehren gegen einen von Korruption, Gewalt und Mord vorangetriebenen Zivilisierungsprozess.

 

Obwohl das Thema Mexikanische Revolution innerhalb „Der Gehetze der Sierra Madre“ nicht behandelt wird, schreibt man dem Film die Herausbildung dieses Subgenres, der italienische Revolutionswestern, zu. Dafür sorgen die wörtliche Erwähnung von Benito Juárez sowie das Wirken des faschistisch mutenden Baron von Schulenberg, der wie Mexikos Kaiser Maximilian die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Dieser von Gérard Herter verkörperte Charakter präsentiert sich als eine äußerst innovative Erscheinung, welche nach dem Vorbild Erich von Stroheim, den Sollima überaus schätzte, kreiert wurde. Herter liefert in der Rolle des Barons eine ganz große Show, die zweifelsfrei von den meisten Zuschauern nicht ausreichend gewürdigt wird, da ihnen vermutlich der Background fehlt, denn wer (Filmwissenschaftler, Filmhistoriker und extrem Filmverrückte ausgeschlossen) kennt heute noch Erich von Stroheim?

 

Der gebürtige Wiener wanderte mit 24 Jahren in die USA ein und konnte mit Hilfe von Griffith in der Schauspielerei Fuß fassen. Von Stroheim war prädestiniert für Schurken- und Militaristenrollen und nach dem Eintritt der Amis in den Ersten Weltkrieg ein überaus gefragter Darsteller für die Rollen des bösen Deutschen, für die eines - wie der arme Schweizer in „Der Exorzist“ bezeichnet wird - „bloody damn butchering Nazi Pig“. Während der Dreharbeiten zu seinem Regiedebüt („Blind Husbands“), in dem Von Stroheim außerdem die Hauptrolle des Leutnant Erich von Steuben bekleidet, begutachtete er sich - auch im Beisein seiner Mitspieler - stets vor dem Spiegel, um seine Gesichtszüge und Posen für die Kamera zu perfektionieren. Sein Gang sowie seine Art zu rauchen waren die Resultate eines ständigen Trainings. Dieses akribische Gebaren lässt sich fortwährend aus dem Charakter Baron von Schulenberg lesen und liefert weitaus mehr als ein lapidares Overacting, denn Gérard Herters (Von Stroheim adelnde) Spielweise ist schlicht und ergreifend exzellent.

 

Fazit: Sollimas Antihelden, Corbett und Chuchillo, sind, wie ihre zahlreichen Kollegen aus dem ergiebigen Feld des italienischen Westernkinos, nicht zur Veränderung fähig und einzig darauf bedacht, den Hals aus einer sich langsam zuziehenden Schlinge der Zivilisierung herauszuwinden. Denn obwohl sie diese, ihre vorerst letzte Schlacht, für sich entscheiden, können sie nicht verhindern, dass sich die frontier stets weiter ausdehnen wird. Was ihnen bleibt ist die Flucht; die aussichtslose Suche nach Dorothy Gale´s Traumland „somewhere over the rainbow“.

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