Recht und Leidenschaft

Italien, 1970

Originaltitel:

La moglie più bella

Alternativtitel:

Seule contre la Mafia (FRA)

Sola frente a la violencia (ESP)

The Most Beautiful Wife

Die schönste Frau

Deutsche Erstaufführung:

03. Mai 1974 (DDR)

Regisseur:

Damiano Damiani

Inhalt

Das Leben ist gut zu Vito Iuvara, jetzt wo Don Antonino und alle seine Leute im Gefängnis sitzen. Denn Don! Vito Iuvara ist von Don Antonino höchstpersönlich ausgesucht worden, sein Nachfolger zu werden. Alle Menschen grüßen ihn, alle Menschen senken den Kopf wenn sie mit ihm sprechen, und alle respektieren ihn. Er kann jede Frau haben, absolut jede, und er sucht sich Francesca Cimarosa aus. Ausgerechnet Francesca, die 15-jährige Tochter eines armen Bauern. Sie muss arm sein, weil sie ihn dann aus Dankbarkeit immer ehren wird. So sagt man, aber Francesca hat ihren eigenen Kopf. Sie möchte aus Liebe geheiratet werden, nicht weil jemand eine Entscheidung gefällt hat, und wenn sie nicht respektiert wird, dann kann sie den anderen auch nicht respektieren. Don Vito hat jetzt ein Problem, denn mit ihrem Stursinn macht Francesca aus ihm einen Idioten. Also entführt und vergewaltigt er sie, und anschließend ist die große Verlobungsfeier, denn nun sollte die Widerspenstige ja eigentlich gezähmt sein. Aber Pustekuchen, selbst jetzt brüskiert Francesca ihn - und geht am nächsten Tag zu den Carabinieri, Don Vito anzeigen …

Autor

Maulwurf

Review

Damiano Damiani ist bekanntlich einer der Großmeister des Polit- und Mafiathrillers: Franco Nero zieht gegen das Verbrechen los und scheitert mal mehr oder weniger grandios. So ungefähr jedenfalls. RECHT UND LEIDENSCHAFT lässt sich mit diesen Filmen nicht vergleichen, der ist anders. Ganz anders. Ähnlich wie in DER TAG DER EULE zeigt Damiani hier auf, wie grundlegend die Mafia in der sizilianischen Gesellschaft verwurzelt ist, und wie die Strukturen der Gesellschaft ein selbstbestimmtes und freies Leben komplett unmöglich machen.

 

Francesca ist die Tochter armer Bauern, und weil das Auge des reichen und mächtigen Don Vito auf sie fällt, geht ihr ruhiges und friedlich-arbeitsreiches Leben gewaltig in die Binsen. Arbeiten, heiraten, Kinder kriegen, kochen, sterben, so war der Plan gedacht. Aber dank Don Vito darf sie fortan überhaupt nicht mehr das tun was sie möchte. Stattdessen wird sie entführt, vergewaltigt (und es ist bekannt, dass (nicht nur) in Italien auch heute noch mitunter die Opfer einer Vergewaltigung bestraft werden, im Gegensatz zu den Tätern), und muss sich dem arroganten Eroberer unterwerfen. Na ja, zumindest müsste sie das. Genauso wie sie eigentlich Angst haben müsste, um sich und um ihre Familie. Aber stattdessen wachsen ihr Stolz und ihre Sturheit mit jeder Tat Don Vitos, und mit allem was Vito macht, und je mehr Vito versucht ihren Stolz zu brechen, um so eigensinniger wird Francesca. Eigensinniger und selbstbewusster. Sie bricht mit ihrer Familie und einem Leben in Ehre, nur um nicht nachgeben zu müssen: “Jetzt bin ich ja keine Jungfrau mehr, da kann ich auch als Hure arbeiten“ schreit sie ihrem schockierten Vater entgegen und geht. Verlässt die Familie …

 

Die Familie. Die kleinen Momente sind es, die hier die Aussagen treffen, und die das Bindeglied zwischen Mafia und nächster Verwandtschaft, zwischen der Gesellschaft im Großen, und der Familie im Kleinen bilden. La Famigila, gleich in welchem Sinne:

Die Frau, die in den Ruinen des Örtchens Gibellina lebt, und die früher selber an einen Mafioso verheiratet wurde. Sie sagt dazu, dass sie glücklich war wenn er das Haus morgens verließ, und unglücklich wenn er abends wiederkam. Bis alle Gefühle irgendwann verschwanden …

Der Priester, der keine Schafe hütet sondern Schweine, und sich selber wie ein Schwein benimmt: “Die Frau hat zu leiden, nur der Mann darf dabei Freude verspüren!“ Na, der kennt sich wohl bestens aus …

Francesca, die auf den sterbenden Colosimo zugeht, wenn alle anderen flüchten. Und damit zeigt, dass sie sehr wohl noch Gefühle hat. Weswegen sie in der wohl ergreifendsten Szene den Stall ihres Vaters anzündet und die Lebensgrundlage ihrer Familie vernichtet. So, wie die Grundlage ihres Lebens vernichtet wurde. Und wie sie im Gegenzug die sichere Karriere ihres Verehrers und Peinigers vernichtet. Ihn aus seiner Familie herausdrängt.

Aber auch der Moment, wenn die Familie Cimarosa das Polizeirevier verlässt und vor der Gemeinschaft der Stadtbewohner steht: Die Cimarosas haben es gewagt, das Schweigen zu brechen. Sie haben sich getraut einen der ihren zu verraten. Aus der Gemeinschaft werden sie in diesem Augenblick ausgestoßen, die Dorffamilie ist nicht mehr die ihre, der Heimweg ist ein bitterer Spießrutenlauf, und es wird nicht der letzte sein. aber die Familie Cimarosa ist in diesem Augenblick tatsächlich wieder vereint.

 

Doch kann Francesca bei der Polizei nicht viel ausrichten, da haben alle denkbaren Zeugen Angst und schweigen. Die Gemeinschaft, die Familie des Städtchens, die hält zusammen. Aber Francesca zieht die Anzeige gegen Vito nicht zurück, egal wie der sich verhält. Sie ist nicht die erste Sizilianerin, die stark und stolz gezeigt wird. Claudia Cardinale in DER EISERNE PRÄFEKT fällt mir ein, die auch ihren eigenen Kopf hat, und sich nichts sagen lässt.

 

Aber DER EISERNE PRÄFEKT lässt sich mit RECHT UND LEIDENSCHAFT (was für ein sperriger Titel) ebenfalls nicht vergleichen, wird dort doch der Kampf eines Einzelnen gegen die Mafia gezeigt. RECHT UND LEIDENSCHAFT hat eine andere Prämisse, nämlich den Kampf einer Einzelnen gegen eine Heirat die sie nicht will. Gegen eine Gesellschaft die sie ablehnt. Wir reden hier also nicht von einem klassischen Mafiafilm, sondern grundsätzlich von einem Sozialdrama mit kriminellem Hintergrund: Das kleine Mädchen, das sich freut wenn ihr Cousin aus Palermo zu Besuch kommt, weil es dann Eiscreme gibt, gegen den aufstrebenden Mafioso, der für Bett und Küche eine Dienstmagd benötigt, und dem rivalisierenden Cousin klar erklärt, dass er sein Leben riskiert wenn er noch einmal in den Ort kommt. Die junge Frau, die ihren ganz eigenen Kopf hat und gegen alle Widerstände durchsetzt, versus den arroganten Jungmafioso, der vor lauter Stolz seine sichere Karriere als Capo einer Familie versiebt.

 

Gedreht wurde unter anderem in den Ruinen des Städtchens Gibellina, das im Januar 1968 von einem Erdbeben zerstört wurde. Die Bewohner haben noch 10 Jahre in provisorischen Unterkünften gelebt. Francescas Eltern gehören dazu. Arme Menschen, die alles verloren haben, die keine wirkliche Zukunft mehr haben, und die dankbar jeden Strohhalm ergreifen, um im Leben noch einmal etwas zu erreichen. Und sei es durch die Zwangsheirat der Tochter mit einem Mafioso.

 

Ein bitterer Film. Ein spannender Film. Vor allem aber auch ein traurig machender Film. Und ein sehenswerter Film!

Autor

Maulwurf

Veröffentlichungen

Nach langer Wartezeit wurde der Film in Deutschland bei Donau Film als BD und DVD veröffentlicht. Laut OFDb hat das Teil deutschen und italienischen Ton mit deutschen Untertiteln an Bord, eine Einführung von Damiano Damiano persönlich, den italienischen Originaltrailer, eine Featurette über Sizilien, die Mafia und (mutmaßlich) Ornella Muti, und eine Möglichkeit den Film ohne Sprache und nur mit Musik anzuschauen gibt es auch. Ich persönlich kann dazu nichts sagen, die Screenshots sind von der US-amerikanischen DVD von NoShame, und mit der bin ich auch sehr zufrieden.

Autor

Maulwurf

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