Trauen Sie Alfredo einen Mord zu?

Frankreich | Italien, 1961

Originaltitel:

L'assassino

Alternativtitel:

L'assassin (FRA)

El asesino (ESP)

The Assassin (USA)

The Lady Killer of Rome (USA)

Deutsche Erstaufführung:

05. Oktober 1962

Regisseur:

Elio Petri

Inhalt

Der Antiquitätenhändler Alfredo Martelli kommt morgens nach Hause und macht es sich in der Badewanne gemütlich. Das Telefon klingelt. Am anderen Ende der Leitung ist seine Verlobte, die er prompt belügt, indem er behauptet, gerade erst aufgestanden zu sein. Es klopft an der Tür. Es sind einige Männer von der Polizei, die den verdutzten Alfredo ohne Angabe von Gründen auf die Wache eskortieren. Dort lässt man ihn erst einmal warten, ohne ihn darüber zu informieren, warum er überhaupt hier ist. Dann wird er zu Kommissar Palumbo geführt. Auch der Ermittler lässt ihn über den Sachverhalt im unklaren, beginnt aber, ihn über den vergangenen Abend und die letzte Nacht auszufragen. Erst als er, langsam erkennend, dass dies noch länger dauern wird, darauf besteht, einen Termin mit seiner Bekannten Adalgisa de Matteis abzusagen, informiert ihn der Kommissar darüber, dass eben sie in der letzten Nacht ermordet wurde und er nun als der Hauptverdächtige angesehen wird. Denn sie war die Förderin Alfredos, und die beiden unterhielten eine Zeit lang eine Affäre. Palumbo, der keinen Zweifel daran lässt, den gerissenen Antiquitätenhändler richtiggehend zu verachten, ist von dessen Schuld überzeugt und lässt nichts unversucht, dem verzweifelten Geschäftsmann ein Geständnis zu entlocken...

Review

„Trauen Sie Alfredo einen Mord zu?/L'assassino“ war der erste von gerade einmal 11 Spielfilmen des schon 1982 mit nur 53 Jahren an Krebs verstorbenen Elio Petri. Obwohl Petri das Glück hatte, mit Marcello Mastroanni, der zuvor erst mit Federico Fellinis „Das süße Leben/La dolce vita“ (1960) zu Berühmtheit gelangt, den Star der Stunde in der Hauptrolle besetzt zu haben, geriet der Film zusehends in Vergessenheit. Dabei war das düstere Krimi-Drama sogar der italienische Beitrag der Berlinale 1961 und lief im Wettbewerb um den goldenen Bären. Die Story dazu ersann Petri mit dem emsigen Drehbuchautoren Tonino Guerra, der an den Scripts unzähliger Klassiker des italienischen Kinos schrieb, er arbeitete oftmals mit Michelangelo Antonioni, u.a. bei „Die Nacht/La notte“, „Rote Wüste/Il deserto rosso“, „Blowup“ und „Zabriskie Point“, mit Federico Fellini an „Amacord“, „Fellinis Schiff der Träume/E la nave va“ sowie „Ginger und Fred/Ginger e Fred“, oder auch an Francesco Rosis „Die Macht und ihr Preis/Cadaveri eccellenti“ und „Chronik eines angekündigten Todes/Chronaca di una morte annunciata“. Auch das Gespann Petri/Guerra kam auf drei Kooperationen, es folgten noch „Das zehnte Opfer/La settima donne“ und „Das verfluchte Haus/Un tranquillo posto di campagna“. Die Leitung der Fotografie übernahm Carlo De Palma, der zwischen 1986-97 mit Woody Allen zusammenarbeiten sollte.

 

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Alfredo, dessen Charakter in Rückblenden skizziert wird. Hierbei wird uns der Geschäftsmann Alfredo genauso unsympathisch vorgestellt, wie auch der Privatmann Alfredo, der seine Beziehung zu Adalgisa, die allerdings genauso kühl und pragmatisch zu agieren scheint, nutzt, um beruflich voranzukommen. Seine Verlobung mit jüngeren Nicoletta, die von ihrem reichen Vater missbilligt wird, sieht er in angenehmer Weise auch als nützlich an. Wir werden Zeuge, wie er zwei mittellosen, alten Männern, einer davon schwer krank, gönnerhaft mit Almosen für einige wertvolle Stücke abspeist, die er später für das hundertfache wieder verkauft. Es ist kein nettes Bild, das Petri von diesem Mann zeichnet. Er gehört zu einer Sorte Mensch, die sich nach dem Krieg und den damit einhergehenden Verlusten, persönlicher wie materieller Art, darauf fixiert, egoistisch nur den eigenen Gewinn, den persönlichen Vorteil zu suchen. Auch dem Kommissar ist er ein Dorn im Auge. Doch hier ist es noch nicht einmal die Selbstsucht Alfredos, die ihm aufstößt. Er spricht von ihm als Anarchisten, vermutet in ihm einen linken Emporkömmling, da sein Großvater ein Antifaschist war, und als Widerständler gestorben ist. In dem Ermittler zeigt sich die hässliche Fratze des Erbe Mussolinis, sinnbildlich für die Faschisten, die sich, ähnlich wie viele Nazi-Funktionäre im Nachkriegsdeutschland, in den Auswüchsen des Staatsapparates, vor allem dem Beamtentum, breit gemacht hatten. Die Methoden, derer sich Palumbo bedient, werden hierbei immer perfider. Zuerst lässt er ihn schmoren, auf der Wache warten, in Unwissenheit, was überhaupt Sache ist. Danach geht er ihn persönlich an, als die Katze aus dem Sack ist, bezichtigt er ihn unverhohlen des Mordes, um ihn dann bei einer Tatortbegehung sich selbst in Widersprüche verwickeln zu lassen, bei denen man nicht ganz weiß, ob er sich nur ungeschickt rauszureden sucht oder tatsächlich nur ob der ungeheuerlichen Anschuldigungen überrumpelt und schikaniert sieht. Später schickt der Kommissar ihm dann sogar noch Spitzel auf die Zelle, und letztendlich scheint man gewillt, ihn sogar zu einem Geständnis zu zwingen. Denn für den Beamten ist Alfredo schuldig, er verschwendet nicht einen Gedanken daran, dass es vielleicht auch andere Verdächtige geben könnte. Man ist mit dem fortschreitenden Leidensweg geneigt, trotz der wenig schmeichelnden Charakterzüge, die sich hinter dem gewinnenden Lächeln des Antiquitätenhändlers verbergen, nun Mitleid für ihn zu empfinden, oder zumindest eine aufkeimende Wut in Anbetracht der mehr als einseitigen, brutalen Vorgehensweise der Polizei, die nicht von ungefähr an, wie man so schön sagt, Gestapo-Methoden gemahnt. Am Ende geht es dem Kommissar Palumbo noch Regisseur Elio Petri dann auch nur sekundär um Wahrheitsfindung, der Aufklärung eines Mordfalls.  Vielmehr ergibt sich ein wenig schmeichelhaftes Bild der römischen Gesellschaft, in dem der Staatsapparat von innen verrottet scheint, und von seiner Oberschicht, die aus von Verlustängsten getriebenen Neu-Kapitalisten besteht, ausgenommen und krank wie arm in ihren zugigen, feuchten Baracken zurückgelassen wird. Die Gegner in diesen Stück sind deswegen nicht Alfredo und Palumbo, es sind der Regisseur und der Kommissar, die aus den verschiedenen Lagern stammen. Denn die Lehre, die hieraus zu ziehen ist, heißt, dass kein Mensch solch eine Behandlung verdient, sei er nun unsympathisch, selbstsüchtig und gemein, oder sei er sogar schuldig. Es ist der lange Nachhall eines Krieges, den eigentlich keiner gewonnen hat, und der deswegen auf einer anderen Ebene, mehr oder weniger unauffällig im Gewand des Alltags verborgen, weitergeführt wird. Und dieser Krieg, der so viel Leid und Verelendung über das italienische Volk brachte, gebar nun Menschen wie Alfredo; einen Einzelgänger und Eigenbrötler, der sich Gefühlen verschließt und nur seinen eigenen Vorteil kennt, und dessen einziges Bestreben die Anhäufung physischer Reichtümer ist. Dabei hat er in seiner Angst, die ihn antreibt, noch die Fähigkeit verloren, über sein Wesen und seine Taten selbst zu reflektieren. Erst diese Extremsituation, die Verzweiflung in der Haft treibt ihn dazu, sein Handeln doch zu überdenken. Dies ist aber ein Zustand der nicht von Dauer ist, Petri bleibt pessimistisch, im festen Glauben, dass solche Menschen, ohne schmerzhafte Konsequenzen zu spüren, nicht in der Lage sind, sich dauerhaft zu ändern.

 

Marcello Mastroianni zieht mit seinem Spiel unweigerlich in seinen Bann. Emotionen spielen sich bei ihm meist subtil ab, er erhält zumeist eine Fassade aufrecht, schottet sich von allem ab, auch von den Menschen, denen er etwas bedeutet. Als sich die im Verlauf der Anschuldigungen, Befragungen und der unmenschlichen Schikanen aufbegehrenden echten Gefühlen der Beklemmung, der Bestürzung und der Schuld, für alles mögliche, Bahn brechen, ist das mitreißend und locken hinter der Fassade ein verletzliches menschliches Wesen hervor. Salva Radone muss als Kommissar Palumbo hingegen nur selten den Pfad seines stoischen Voranschreitens verlassen, agiert hier wie ein Taktgeber für Alfredos aufkommende Gefühlswallungen, der die Schlagzahl ständig erhöht. Micheline Presle gibt sich als Adalgisa so selbstbewusst und kühl, dass sie als perfektes, weibliches Gegenstück zu Alfredo fungiert. Sie passen zusammen wie Topf und Deckel, wobei es aber scheinbar nichts mehr gibt, was sie sich noch geben könnten, weswegen ein Verweilen für beide unmöglich wird.

Petri geht dabei die ganze Angelegenheit sehr nüchtern an, begleitet von dezentem Musikeinsatz. Carlo Di Palma kleidet das Drama in triste Bilder, Bewegung und Leben kommt nur in die Kameraführung, wenn etwas Schreckliches passiert oder die ganze einseitige Ungerechtigkeit der Justiz auf Alfredo nieder prasselt. Hinter all dem Pessimismus macht sich immer wieder ein verbittertes Lachen breit, das kurzzeitig das Ganze etwas aufbricht oder auflockert, aber einem mit der Erkenntnis zurücklässt, dass unter diesem verbrannten Stück Erde kein neuer Keimling versteckt.

 

„Trauen Sie Alfredo einen Mord zu?“, der deutsche Titel lenkt den Blick des Zuschauers in eine etwas falsche Richtung, ist ein Film, der in seinen schwarz-weißen Bildern ein wenig Hoffnung erweckendes Bild der römischen Nachkriegsgesellschaft zeichnet. Petri verzichtet dabei auf Spott und auch auf jedwede Sentimentalitäten. Nebenher extrahiert eine gute Portion bitteren Humor aus der eindringlichen Schilderung der Taten Alfredos, man mag kaum glauben, mit welcher Selbstverständlichkeit er die Leute, mit denen er zusammentrifft oder auch persönliche Bindungen pflegt übervorteilt. Im gesamten ist Petris entlarvender Blick hinter die Fassade und auch der Ausgang des Films eher deprimierend, gerade weil eigentlich kein einzig sympathischer oder ansatzweise netter Mensch während des Films in den Fokus rückt, und dennoch liegt er nicht so schwer im Magen, da man sich als Zuschauer selbst davon ausgenommen fühlt. Und auch wenn sich Petri für die Kriminalgeschichte, anhand derer er sein Porträt des habgierigen Alfredo erstellt, oder eher gesagt für deren Ausgang nicht wirklich interessiert, bleibt es dennoch spannend, da dem bösen Spiel des Ermittlers genug Platz eingeräumt wird. Es ist ein Film, der eine Entdeckung wert ist, sei es als Frühwerk von Mastroainni oder Petri, oder auch als ernüchternder Blick auf das, was die entbehrungsreiche Wiederaufbauphase des post-faschistischen Roms hervorgebracht hat.

Veröffentlichungen

In Deutschland schaut man bezüglich von Veröffentlichungen dieses feinen Films wieder einmal in die Röhre. Nach der Berlinale lief er 1962 offiziell und auf Deutsch synchronisiert in unseren Kinos. Und der Eintrag hierzu ist ganz interessant, denn dort heißt es, dass die deutsche Fassung mit 97 Minuten ganze 8 Minuten kürzer ausgefallen sein soll als die italienische. Dabei wird es sich vermutlich um einen Irrtum handeln, denn die mir vorliegende italienische Fassung von der hervorragenden englischen Double Play Veröffentlichung von der Arrow Academy läuft auf dem Blaustrahl fast genau 97 Minuten (es gibt dazu rund eine Minute das Logo des Restaurators zu sehen) bei 24 Bildern die Sekunde. Und was soll ich noch zur Arrow sagen? Top Bild und italienischer Ton plus englische Untertitel, eine Dokumentation über Drehbuchautor Tonino Guerra und ein informatives Booklet mit einem Text von Camilla Zamboni sowie einem Essay Petris zur damaligen Situation des italienischen Kinos. Wie nicht anders zu erwarten, ein Rundum-Sorglos-Paket.

Links

OFDb
IMDb



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